Der Irak wählt "Großer Erfolg der US-Politik"
07.03.2010, 10:32 Uhr
Bei der Wahl kandidieren 6218 Männer und Frauen für 325 Abgeordnetenplätze.
(Foto: AP)
Knapp 20 Millionen Iraker sind am Sonntag aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Der Irak-Experte Guido Steinberg geht davon aus, dass die Anhänger eines starken Zentralstaates gestärkt aus der Wahl hervorgehen werden. Insgesamt sieht er das Land auf einem guten Weg, auch wenn es noch einige Risiken gibt. "Die Zukunft wird ganz entscheidend davon abhängen, inwieweit der Irak seine Öl- und Gasindustrie jetzt aufbauen kann", sagt Steinberg n-tv.de. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Beim Konflikt um Kirkuk sieht er die wachsende "Gefahr einer militärischen Eskalation".
n-tv.de: An diesem Wochenende wählt der Irak ein neues Parlament. Worum geht es bei der Wahl?
Guido Steinberg: Bei der Wahl wird sich entscheiden, welche Richtung der Irak in den nächsten Jahren einschlagen wird. Dabei gibt es zwei Alternativen: Einmal in Richtung eines starken Zentralstaates mit einer durchsetzungsfähigen Regierung in Bagdad. Dafür stehen beispielsweise Nuri al-Maliki, der jetzige Ministerpräsident, aber auch sein derzeit größter Konkurrent, der ehemalige Interimsministerpräsident Ijad Allawi. Dann gibt es diejenigen Parteien bzw. Blöcke, die für einen föderalen Irak eintreten. Das sind vor allem die Kurdenparteien und einige religiöse schiitische Parteien. So wie es aussieht, werden die Anhänger eines starken Zentralstaates aus dieser Wahl gestärkt hervorgehen.
Was würde das für den Irak bedeuten?

Nuri al-Maliki wirbt vor allem um die Stimmen der Schiiten und versucht, sich als "Law and Order"-Mann zu profilieren.
(Foto: dpa)
Es wird zunächst wohl bedeuten, dass sich der irakische Staat in den nächsten Monaten und Jahren weiter konsolidiert. Es bedeutet aber wahrscheinlich auch, dass sich die Konflikte zwischen der Zentralregierung und der Kurdenregierung im Norden des Landes verschärfen werden. Das ist gewissermaßen ein Muster in der irakischen Geschichte, das sich regelmäßig und auch nach 2003 gezeigt hat: Eine neue, schwache Regierung versucht immer wieder, durch Zugeständnisse an die Kurden ihre Herrschaft zu stabilisieren. Wenn die Zentrale wieder erstarkt ist, bemüht sie sich, diese Zugeständnisse rückgängig zu machen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir eine ähnliche Entwicklung in den nächsten Jahren beobachten werden. Die Frage ist dabei, inwieweit die Auseinandersetzung gewalttätig ausgetragen wird oder nicht.
Was erwarten Sie? Gerade beim Streit um Kirkuk geht es ja auch um viel Öl.
Der Streit zwischen Bagdad und Arbil, der Hauptstadt der Kurdenregion, betrifft nicht nur Kirkuk, sondern den gesamten Gebietsstreifen zwischen der Kurdenregion und dem arabischen Teil des Irak. Kirkuk ist nur das Symbol für diesen Konflikt. Es ist nicht sicher, dass es hier in Zukunft zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen wird, aber die Gefahr einer militärischen Eskalation ist gegeben und wächst.
Neben dem Konflikt zwischen Kurden und Arabern gibt es im Irak noch den uralten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Hat sich hier die Lage gebessert?

Trotz der massiven Drohungen von Al-Kaida verlief der Wahlkampf relativ ruhig, auch wenn es, wie hier im Norden Bagdads, noch immer zu Anschlägen kam.
(Foto: dpa)
Die Schiitenmilizen haben den Bürgerkrieg in Bagdad 2007 für sich entschieden. Die meisten sunnitischen Aufständischen haben den Kampf mittlerweile aufgegeben. Der Irak wird in Zukunft ein sehr viel stärker schiitisch geprägter Staat sein als er das in der Vergangenheit war - ganz unabhängig davon, wer demnächst in der Zentralregierung dominiert. Viele Sunniten haben die Konsequenz gezogen und das Land verlassen, andere hoffen noch auf eine von säkularen Kräften dominierte Regierung. In jedem Fall ist es unwahrscheinlich, dass die Sunniten sich in den nächsten Jahren noch einmal gewalttätig gegen diese Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse wehren können.
Aber der Irak wird immer noch von Anschlägen erschüttert.
Wir können seit 2007 beobachten, wie sich die ehemals sehr große und starke irakische Aufstandsbewegung schrittweise auflöst. Diejenigen, die den Aufstand bis heute weiterführen, sind stark geschwächt und damit zu normalen terroristischen Gruppierungen geworden, die allerdings noch in der Lage sind, sehr wirkungsvolle Anschläge durchzuführen. Solche Attentate wird es auch weiterhin geben, möglicherweise schon jetzt parallel zu den Wahlen. Die Terroristen sind allerdings nicht mehr in der Lage, den Gesamtstaat zu destabilisieren wie das von 2003 bis 2007 der Fall war.
Das heißt, die Gefahr eines Aufstands sehen Sie nicht mehr?
Die Aufständischen sind geschlagen. Das ist ganz eindeutig. Al-Kaida im Irak wird weiter eine Rolle spielen, aber dieses Land nicht destabilisieren können. Das zeigt sich an der Entwicklung der letzten beiden Jahre, ganz egal wie viele Anschläge jetzt noch folgen werden.
Geht von Al-Kaida-Gruppen im Irak noch eine Gefahr für den Westen aus?

Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg arbeitet bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik".
Nein. Die irakische Al-Kaida operiert zurzeit nur innerhalb des Landes. Die größte Gefahr für den Westen geht nicht von der irakischen Al-Kaida aus, sondern, wie wir im Dezember 2009 gesehen haben, von der jemenitischen Al-Kaida und vor allem von der Al-Kaida-Zentrale in Pakistan. Es ist schon Jahre her, dass die Al-Kaida im Irak auch in den Nachbarländern zugeschlagen hat. Heute ist die Organisation entscheidend geschwächt.
Welche Ziele verfolgt Al-Kaida im Irak?
Al-Kaida verfolgt immer noch ihre alten Ziele. Sie möchte die neue irakische Regierung destabilisieren, weiß aber, dass sie dazu eigenständig nicht in der Lage ist. Deshalb versucht sie, Konflikte zwischen den Volksgruppen zu schüren. In der Vergangenheit waren das vor allem Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, im Moment versucht sie besonders von Mossul aus, den Konflikt zwischen Kurden und Arabern zu schüren, ohne dass ihr dies zu gelingen scheint. Ihr Ziel ist immer noch ein islamischer Staat im Irak und ein anschließendes Ausgreifen auf die Nachbarländer. Allerdings sind dies keine realistischen Ziele mehr.
Der Irak ist damit nicht mehr auf dem Weg zu einem "gescheiterten Staat", wie Sie das vor einigen Jahren befürchteten?
Nein, auf keinen Fall. Es gibt eine ganze Menge Probleme, die nicht gelöst sind, aber es gibt eine erstarkende Zentralregierung und Ansätze für eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Die Zukunft wird ganz entscheidend davon abhängen, inwieweit der Irak seine Öl- und Gasindustrie jetzt aufbauen kann. Aber auch das, denke ich, ist nur eine Frage der Zeit.
Ist der Irak dabei darauf angewiesen, dass die US-Truppen noch länger im Land bleiben?

Irakische Sicherheitskräfte und ein US-Soldat bei einer gemeinsamen Übung in Kirkuk.
(Foto: AP)
Es wäre positiv, wenn der amerikanische Truppenrückzug etwas langsamer vonstatten ginge. Allerdings ist die amerikanische Entscheidung gefallen, sie ist wohl auch irreversibel. Wir können nur hoffen, dass die Iraker tatsächlich in der Lage sind, die Sicherheit im Lande selbst zu gewährleisten und dass es nicht zu einem Konflikt zwischen kurdischen Milizen und der Armee und der Polizei in den umstrittenen Gebieten kommt. Allerdings bleiben ab August zunächst noch 50.000 Amerikaner in dem Land. Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner auch über 2010 hinaus versuchen werden, die Konflikte im Irak zu entschärfen.
Nun ist der Irak erstmal mit der Wahl konfrontiert und dem Problem, dass im Vorfeld Hunderte von Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen wurden, weil sie angeblich Verbindungen zur verbotenen Baath-Partei von Saddam Hussein hatten. Wieweit kann man da noch von einer demokratischen Wahl sprechen?
Der Ausschluss von Kandidaten ist äußerst problematisch, weil es ein sehr durchsichtiger und politisch motivierter Schritt ist. So soll vor allem das Wahlbündnis des ehemaligen Interimspräsidenten Allawi geschwächt werden, das eine ernsthafte Konkurrenz für Maliki ist. Es besteht jetzt die Gefahr, dass die Wahl vor allem von Allawi und seinen Verbündeten nicht als legitim betrachtet wird. Insgesamt aber sind es doch demokratische Wahlen, und ich gehe auch davon aus, dass es keine wirklich gravierenden Probleme geben wird. Das ist natürlich ein ganz, ganz großer Erfolg der amerikanischen Politik in dem Land in den letzten Jahren, nachdem es zwischen 2003 und 2007 so schien, als würde das gesamte Land und damit auch die amerikanische Politik in die Katastrophe schlittern. Es war nicht zu erwarten, dass sich das Land so schnell stabilisiert und dass sich diese demokratischen Strukturen auch halten.
Was ist jetzt die dringlichste Aufgabe für eine neue Regierung?
Die dringendste Aufgabe ist zunächst einmal, eine neue Regierung zu bilden. Das wird nicht einfach sein, weil die Zersplitterung des Parteienspektrums groß ist und keine Partei eine Mehrheit gewinnen dürfte. Wir hatten im Jahr 2005/2006 den Fall, dass es nach den Wahlen sechs Monate dauerte, bis die Regierung Maliki stand. Diesmal können wir nur hoffen, dass sich eine handlungsfähige Koalition schneller bildet. Gerade vor dem Hintergrund des laufenden Truppenrückzugs der Amerikaner ist eine schnelle Regierungsbildung zwingend notwendig.
Mit Guido Steinberg sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de