Dossier

Zwei Monate sind ein Quartal Hausärzte unter Druck

Bereits am 23. Februar hatte Thomas Georgi, Hausarzt in Berlin, sein Budget vollständig ausgeschöpft. "Den gesamte Monat März und die letzte Februarwoche arbeiten wir dann umsonst", so Georgi. Dazu komme die immer höhere bürokratische Belastung, die 30 bis 35 Prozent seiner Arbeitszeit ausmache. Mit dem "ach so hohen Einkommen" der niedergelassenen Ärzte sei es nicht weit her. "Das mag auf einige Radiologen zutreffen, aber das Gros der Ärzte hat Schwierigkeiten, mit den Praxen über die Runden zu kommen."

n-tv.de: Herr Georgi, niedergelassene Ärzte haben gerade gegen schlechte Arbeitsbedingungen demonstriert. Ein Hauptkritikpunkt ist das Honorarsystem. Wo liegt das Problem?

Thomas Georgi: Die Freie Ärzteschaft demonstriert gegen die Politik der Bundesregierung. Mit Dienstantritt der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat sich die Situation für alle ambulant tätigen Ärzte, also auch für die Fachärzte, deutlich verschlechtert. Wir haben als ambulant tätige Ärzte ein festes Budget. Und das nicht in Euro und Cent, sondern in Punkten. Dieses Punktesystem wurde ursprünglich eingeführt mit einem Umrechnungsfaktor von 5,1 Cent, damals 10 Pfennig pro Punkt. Dieser Wert wird schon seit langem nicht mehr erreicht.

Wie viel ist so ein Punkt heute wert?

Im Moment je nach Kasse zwischen 3,6 und 4,3 Cent. Grundsätzlich funktioniert das System so: Die Krankenkassen zahlen eine fixe Pauschale pro Patient an die KV, die Kassenärztliche Vereinigung.

Die Kopfpauschale.

Genau. Eine Krankenkasse mit älterer Klientel und meist mehr Kranken zahlt dabei mehr als zum Beispiel eine neu aufgemachte Betriebskrankenkasse, in der vor allem Arbeitnehmer versichert sind und kaum Rentner. Die zahlt deutlich weniger. Das geht dann fix an die KV. Auf der anderen Seite erbringen alle Kassenärzte Leistungen, die sie in Punkten mit der KV abrechnen. Diese errechnet dann über ein relativ kompliziertes System, wie viel Geld aus dem Topf, den die Krankenkassen gezahlt haben, jeder Arzt letztlich für seine Punkte bekommt.

Bei einem Punktwert von 4 Cent erhalten Sie 17,60 für einen Hausbesuch. Lohnt sich das noch für Sie?

Nein. Es gibt zwar Zusatzleistungen einiger Krankenkassen für Hausbesuche. Die sind aber verschwindend gering. Fahre ich zu einem Hausbesuch und parke falsch, dann zahle ich am Ende mehr, als mir der Hausbesuch eingebracht hat.

Gibt es noch mehr Leistungen, die sich für Sie nicht mehr lohnen?

Eine Menge sogar. Das Problem ist folgendes: Wir haben unser Budget für drei Monate, also ein Quartal. Danach wird abgerechnet. In diesem Quartal hatten wir am 23. Februar unser Budget bereits übererfüllt. Alles, was wir darüber hinaus erarbeiten, bringt uns kein Geld.

Und dann schließen Sie Ihre Praxis?

Nein. Wir machen nicht zu und genau das ist das Problem. Als Arzt haben wir den hippokratischen Eid geschworen. Wir verstehen uns auch als Dienstleister. Wenn wir im kassenärztlichen Bereich einfach zumachen, können wir unseren Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen. Wo sollen die Patienten denn hin? Wir arbeiten weiter, wissen dabei aber genau, dass wir kein Geld erwirtschaften.

Andere Kollegen machen einfach dicht. Budgetferien nennt man dieses Phänomen.

Das kommt vor. Im Moment ist es allerdings noch so, dass die Gesamtheit der ambulant tätigen Ärzte, also der Kassenärzte, einen Versorgungsauftrag hat. Die KVs sind schon angewiesen zu gucken, dass die ambulante medizinische Versorgung sichergestellt ist. Es können am Ende des Quartals nicht alle auf einmal Budgetferien machen. Das ist das eine Problem. Das Praxisteam fährt aber nicht etwa nach Mallorca und sonnt sich. Die Ferien werden auch zur Bewältigung der immer höheren bürokratische Belastung genutzt: Es gibt Disease-Management-Programme, Hausarztverträge und eine Vielzahl von anderen Strukturverträgen, die neben der normalen kassenärztlichen Abrechnung laufen und mit Peanuts vergütet werden.

Wie viel Ihrer Zeit müssen Sie in diese bürokratischen Fragen investieren?

Gut und gerne 30 bis 35 Prozent meiner gesamten Arbeitszeit.

Die Freie Ärzteschaft spricht davon, dass ein niedergelassener Arzt ein Drittel seiner Leistungen ohne Honorar erbringt. Ist diese Zahl realistisch?

Das bezieht sich auf das Budget. Wenn wir am 23. Februar unser Budget ausgeschöpft haben, dann ist das nach zwei Monaten. Den gesamten Monat März und die letzte Februarwoche arbeiten wir also umsonst. Wenn Sie das hochrechnen, kommt das mit einem Drittel hin. Und dieser Anteil hat in letzter Zeit zugenommen. Deshalb wird demonstriert.

Seit 2004 sind schon 950 MVZs, Medizinische Versorgungszentren, entstanden. Hier arbeiten mehrere Ärzte unter einem Dach, ähnlich wie bei den Polikliniken in der DDR. Ist das die Lösung? Brauchen wir überhaupt noch so viele niedergelassene Ärzte?

Ich arbeite in einer allgemeinmedizinischen Gemeinschaftspraxis mit drei Kollegen. Wir sind niedergelassen in einer ehemaligen Poliklinik. Diese MVZs sind eine relativ neue Form. Die Kollegen sind dort in der Regel angestellt und arbeiten unter einem Kassenarztsitz, also unter einer Zulassung. Der Vorteil für die Kollegen: Man kann ambulant tätig sein, muss aber nicht gleich das gesamte Risiko einer Niederlassung übernehmen. Zweitens arbeiten die Kollegen fachübergreifend und können sich die Geräte teilen. Das ist schon eine wirtschaftlichere Form, Medizin anzubieten, als die Einzelpraxis. Zudem werden bis zum 31. Dezember auch MVZs und Gemeinschaftspraxen durch die Honorarordnung gefördert. Einzelpraxen wurden etwas abgestraft durch niedrigere Punktwerte. Ob MVZs die richtige Lösung sind, muss sich erst zeigen. Sie stehen unter demselben Druck, wie normale Praxen auch.

Sie selbst haben in den vergangenen Jahren auch an Protesten teilgenommen. Dieses Jahr sind Sie nicht dabei. Frustriert?

Ja, frustriert, weil es nicht viel gebracht hat. Wir haben zwar die Unterstützung der Patienten, aber von Seiten der Politik werden uns schiefe Durchschnittswerte vorgelegt, die ein ach so hohes Einkommen suggerieren. Das mag auf einige Radiologen zutreffen, aber das Gros der Ärzte hat Schwierigkeiten, mit den Praxen über die Runden zu kommen.

Mit Thomas Georgi sprach Daniel Erlemeier.

Quelle: ntv.de

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