Dossier

Kinderfreundliche Unis Hoffnung im Osten

Akademische Karriere oder trautes Familienleben? Für viele Nachwuchstalente an deutschen Hochschulen schließen sich diese beiden Zukunftsentwürfe aus, anstatt einander zu ergänzen. Dass Uni-Laufbahn und Elternglück durchaus vereinbar sind, wenn der eigene Nachwuchs gut betreut wird, will die Bundesregierung jetzt gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung und dem Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) demonstrieren. Der bundesweite Wettbewerb "Familie in der Hochschule" soll Universitäten identifizieren, die ihren Studenten und Jungwissenschaftlern bei Familiengründung und Kindererziehung besonders tatkräftig unter die Arme greifen.

Das Ziel scheint klar: "Wir brauchen Projekte, die ideal vorführen, wie man Familie in der Hochschule realisieren kann", sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) vorige Woche in Berlin bei der Vorstellung der Initiative. Warum die Federführung in Tiefensees Ressort und nicht in die Zuständigkeit von Wissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) fällt, ist wohl der politischen Stoßrichtung der Kampagne geschuldet. Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Tiefensee ist zugleich Beauftragter des Bundes für die neuen Länder - und hofft, dass insbesondere die ostdeutschen Unis ihr Familienprofil weiter aufpolieren, um mehr ambitionierte Doktoranden und neugierige Erstsemester anzulocken.

Welche konkreten Projekte die besten Aussichten auf die Fördersumme von jeweils 100.000 Euro über zwei Jahre haben, ließen die Initiatoren vorerst offen. Einigkeit besteht aber darüber, dass es nicht nur um "harte Infrastruktur" wie Kita-Plätze geht. Eine Art "Familien-TÜV" müsse auch weitere Kriterien umfassen. "Wir brauchen an den Hochschulen eine verständnisvolle Kultur für junge Menschen, die Familien gründen wollen oder bereits haben", betont Ingrid Hamm, Geschäftsführerin der Robert-Bosch-Stiftung. Eine Expertenkommission soll bis Mitte November acht Unis für entsprechende Modellvorhaben auszeichnen, darunter mindestens vier aus den neuen Bundesländern.

Weil die Ost-Fakultäten nach Angaben des CHE zuletzt nur knapp die Hälfte ihrer Studienplätze mit Schulabgängern aus dem eigenen lokalen Einzugsbereich besetzen konnten, bleibt die akademische Landflucht in strukturschwachen Regionen ein Problem. "Es gibt immer noch Tendenzen der Abwanderung", sagt CHE-Projektmanager Markus Langer. Gleichwohl biete die "besondere Tradition" der Kinderbetreuung in Ostdeutschland den dortigen Hochschulen besondere Profilierungschancen. Daher müssten familienpolitische Notwendigkeiten mit strategischem Uni-Marketing gekoppelt werden. "Die Zukunftschancen der neuen Länder sind eng mit dem Erfolg ihrer Hochschulen verknüpft", bestätigt Tiefensee. "Hierbei ist Familienfreundlichkeit ein Qualitätsmerkmal."

Strittig bleibt derweil, wie die vielbeschworene Familienförderung mit den starren Strukturen der neu eingeführten Bachelor-und Master-Studiengänge vereinbart werden soll. "Insgesamt kann man das Programm nur begrüßen", sagt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. "Es sollte aber auch Ansatzpunkte für mehr Flexibilität liefern - zum Beispiel durch Verschiebung von Seminaren in die Abendstunden." Die Uni-Rektorate müssten die "strategische Bedeutung" der Familienorientierung erkennen und diese Einsicht in ihre Entwicklungspläne einfließen lassen. Das Antragsformular zum Wettbewerb fragt diesbezüglich nach "herausragenden Aktivitäten".

Wie auch immer solche "Aktivitäten" aussehen: Sicher ist, dass auch die Wissenschaft ihren Beitrag leisten muss, um den anhaltenden Geburtenrückgang in der Bundesrepublik zu stoppen. "Von allen Berufsgruppen in Deutschland bekommen Akademiker am wenigsten Kinder, und sie bekommen sie besonders spät", klagt Stiftungschefin Hamm. Der drohenden Vergreisung der Nation könne man nur vorbeugen, wenn man die Universitäten in Ost und West gleichermaßen in die Verantwortung nehme. "Hochschulen sind nicht nur Arbeits- und Ausbildungsstätte, sondern auch Lebensraum und ein zentraler Ort in der Lebensplanung."
Von Jan-Henrik-Petermann

Quelle: ntv.de

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