Hu Jia in Haft IOC an Pekings Seite
03.04.2008, 16:53 Uhr"Die Menschen in China genießen ein großes Maß an Freiheit", sagt Wang Wei, Vizepräsident des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in Peking (BOCOG). "Die Leute können ihre Meinung sagen und selbst die Arbeit der Regierung kritisieren", preist Wang Wei "die großen Fortschritte bei der Entwicklung der Menschenrechte in China".
Der 34-jährige Bürgerrechtler Hu Jia ist genau einer dieser Kritiker - und seine Freiheit ist am Donnerstag um dreieinhalb Jahre seines Lebens kürzer geworden. Er hatte die Pekinger Olympia-Organisatoren kritisiert, sich für HIV-Infizierte und Menschenrechte eingesetzt. Er hatte mit seinem Ruf nach Demokratie die Führungsrolle der Partei in Frage gestellt.
Da deren Machtanspruch sogar in der Präambel der Staatsverfassung festgeschrieben ist, lässt sich aus der Forderung nach freien Wahlen leicht "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" stricken - eine beliebte Anklage des Staatsanwalts gegen Bürgerrechtler. Ob seine Aussage über die Meinungsfreiheit nicht im Widerspruch zum Urteil gegen Hu Jia stehe, wird der Olympia-Verantwortliche bei der Pressekonferenz im Pekinger Swiss-Hotel gefragt. Fast zynisch bemüht Wang Wei für die Antwort seinen "gesunden Menschenverstand", der ihn zu dem Schluss kommen lasse: "Hu Jia muss wegen des Verstoßes gegen Recht und Gesetz verurteilt worden sein." Eins sei ja klar: "Wir müssen uns alle an die Gesetze halten."
Neben Wang Wei scheint dem Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Hein Verbruggen, die Antwort keinerlei Bauchschmerzen zu bereiten. "Es steht uns nicht an, diese Fälle zu kommentieren. Es ist keine Angelegenheit des Sports." Doch der Druck auf die höchste Sportorganisation der Welt ist massiv gestiegen durch solche politische Urteile, andere Menschenrechtsverstöße und durch das chinesische Vorgehen in Tibet. Nicht umsonst setzt der Chef der Koordinierungskommission für die Olympischen Spiele zu einem Plädoyer an, dass sich das IOC aus der Politik heraushalten müsse, weil der Sport sonst Opfer von Boykotten werden könne.
Das IOC sei keine politische Organisation, betont Verbruggen. Dass er natürlich ständig mit Politikern zu tun hat, sei etwas anderes. Der Sport brauche die Politik, um Spiele zu organisieren und zu finanzieren. "Wir brauchen uns gegenseitig", sagt das IOC-Mitglied, schränkt sofort ein: "Auf jeden Fall brauchen wir die Politiker." Aus dieser Erkenntnis heraus beißen sich die "Herren der Ringe" auch lieber auf die Zunge, als ein klares Wort über die Unruhen in Tibet zu verlieren. Verbruggen spricht vage von "Dingen, die nicht unbedingt etwas mit der operativen Seite der Spiele zu tun haben". Oder dass sich das IOC "der Diskussion" bewusst sei, was sein Codewort für einen Boykott der Eröffnungsfeier ist.
Kühl sagt sein Konterpart Wang Wei, die Staats- und Regierungschefs kämen schließlich zur Eröffnung, "um ihren eigenen Athleten zuzuklatschen, nicht dem Gastland". "Wenn sie nicht kommen können, weil sie anderweitig beschäftigt sind, kann ich das verstehen", spielt Wang Wei die Bedeutung der großen Propagandashow herunter - als wenn die kommunistische Führung nicht größten Wert darauf legt, dass alle Mächtigen der Welt nach Peking pilgern. Da Chinas Koordinierungschef keine Berührungsängste vor der großen Politik hat, nutzt Wang Wei die Pressekonferenz zu einem Vortrag, dass der Dalai Lama die Unruhen in Tibet von langer Hand geplant habe. Die Welt werde in die Irre geführt und müsse die Wahrheit erfahren. "Manche Leute wollen die Spiele für ihre eigenen politischen Zwecke benutzen", sagt er abschließend, was bei Chinas Staatsspielen eine unbeabsichtigte doppelte Bedeutung bekommt.
Quelle: ntv.de, Andreas Landwehr, dpa