Dossier

Explosive Mischung In Tripoli sprechen die Waffen

Während die neue Regierung der nationalen Einheit in Beirut darüber streitet, ob die Armee oder die Schiiten-Miliz Hisbollah für die Landesverteidigung zuständig ist, sprechen im Norden des Landes die Waffen. Fast täglich schießen in der Stadt Tripoli Sunniten und Angehörige der Religionsgemeinschaft der pro-syrischen Alawiten aufeinander. Die Palästinenser im Flüchtlingslager Bedawi, das weniger als einen Kilometer von der unsichtbaren "Front" zwischen beiden Parteien liegt, ziehen unterdessen die Köpfe ein, um nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden. Schließlich haben sie im Nordlibanon bereits das Flüchtlingslager Nahr al-Bared "verloren", das im vergangenen Jahr durch Kämpfe zwischen der Armee und Angehörigen der militanten Islamistengruppe Fatah al-Islam fast vollständig zerstört worden war.

"Wir und die Fatah-Bewegung (von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas) sind uns einig, dass wir in diesen innerlibanesischen Konflikten unbedingt neutral bleiben müssen, sonst sind wir Palästinenser hier im Libanon geliefert", sagt Hamas-Funktionär Abo Rabei Schehabi aus Bedawi. "Bisher haben wir es geschafft, stillzuhalten, selbst neulich nachts, als einige verirrte Mörsergranaten unser Lager getroffen haben", fügt er mit ernstem Blick hinzu.

Rational kaum zu erklären

Es ist eine explosive Mischung aus islamistischem Terror, Spaß an Gewalt und ideologischer Auseinandersetzung, die Tripoli, die zweitgrößte Stadt des arabischen Landes, zu einem gefährlichen Ort macht. Der Nordlibanon gilt als Hochburg der sunnitischer Extremisten, die dem Terrornetzwerk El Kaida von Osama bin Laden ideologisch nahe stehen. Aus Tripoli stammen auch die beiden "Kofferbomber von Köln", die im Juli 2006 Sprengsätze in zwei deutschen Regionalzügen platziert hatten, die damals nur wegen eines Konstruktionsfehlers nicht detoniert waren.

Der Konflikt an der Syrien-Straße im Stadtzentrum, wo es in den vergangenen Tagen wieder mehrere Tote bei Kämpfen zwischen Sunniten und Alawiten gegeben hat, ist rational eigentlich kaum zu erklären. Zwar geht es dabei vordergründig um Politik: Die Sunniten im Bab-al-Tabbene-Viertel unterstützen die anti-syrische Zukunftsbewegung des sunnitischen Abgeordneten Saad Hariri und die Alawiten, die einer den Schiiten verwandten Glaubensrichtung angehören, sympathisieren mit der pro-syrischen Hisbollah. Doch unabhängige Beobachter glauben, dass der Streit zwischen den Parteien in Beirut eher als Vorwand dient, um alte Clan-Streitigkeiten und offene Rechnungen aus der Zeit des Bürgerkrieges (1975-1990) auszutragen.

Soldaten haben nur Symbolcharakter

Dass seit einigen Wochen nun Soldaten neben den ausgebrannten Geschäften an der Syrien-Straße stehen, hat eher symbolischen Wert. Denn genau wie die Palästinenser oben auf dem Hügel, so ducken sich auch die Armeeangehörigen, wenn die verfeindeten Gruppen wieder mit Maschinengewehren und Granaten aufeinander losgehen. "Wer kann es ihnen verdenken, schließlich ist das nicht ihr Konflikt", sagt ein Bewohner des Sunniten-Viertels Bab al-Tabbene. Der stiernackige Mann mit dem akkurat gestutzten Bart und der Baseballkappe grinst und klopft einem der Soldaten, die neben seinem Haus vor ihrem gepanzerten Fahrzeug stehen und arabischen Kaffee aus Plastikbechern trinken aufmunternd auf die Schulter. Sein Blick sagt: "Wenn es das nächste Mal Randale gibt, bin ich natürlich dabei."

Quelle: ntv.de, Anne-Beatrice Clasmann, dpa

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