Angst vor der Super-Krise Iren stimmen über EU ab
12.06.2008, 09:13 UhrBei der Europäischen Union herrscht Hochspannung. Denn alles ist möglich, wenn die Iren am 12. Juni darüber abstimmen, ob der "Vertrag von Lissabon" ratifiziert und damit die neue Rechtsgrundlage der EU werden darf. In Brüssel weiß man das seit dem 7. Juni 2001, als 50,4 Prozent der Iren den "Vertrag von Nizza" ablehnten. Die Krise, in die die Europäische Union jetzt durch ein erneutes "No" der Iren gestürzt würde, wäre allerdings noch wesentlich schlimmer als jene von 2001, sagen EU-Diplomaten.
"Es gibt keinen Plan B", warnt EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso vor dem Votum in Irland. Das spiegelt einerseits die völlige Ratlosigkeit darüber wider, was im Fall einer Ablehnung getan werden könnte. Andererseits hofft nicht nur Barroso darauf, dass Irland - das einzige der 27 EU-Länder, in dem die Bürger noch selbst über den "Lissabon-Vertrag" abstimmen dürfen - die Ratifizierung abnickt.
EU-freundliche Stimmung auf der grünen Insel
Dafür, dass alles gut geht und der EU die Super-Krise erspart bleibt, spricht einiges. Kein Land hat seit dem Beitritt 1973 so von der EU-Mitgliedschaft profitiert wie Irland: Das einstige Armenhaus der Union ist mittlerweile zweitreichstes EU-Mitglied, nur noch übertroffen von Luxemburg. Allen bisherigen Umfragen zufolge ist die Stimmung in Irland besonders EU-freundlich. Zudem gibt es einen breiten überparteilichen Konsens pro "Lissabon-Vertrag". Und der Regierungschef (Taoiseach) Bertie Ahern trat zurück und übergab das Amt im Mai an Brian Cowen, damit das EU-Referendum nicht zu einer Abrechnung mit der eigenen Politik wird.
Die Bedeutung des irischen Votums hat mit der Vergangenheit zu tun. Nach den gescheiterten Referenden über die EU-Verfassung von 2005 in den Niederlanden und Frankreich verfiel die Union zunächst in politische Schockstarre. Mühsam wurde ein neuer EU-Vertrag ausgehandelt. Niederländern und Franzosen sollte nicht zugemutet werden, ein zweites Mal über denselben Verfassungsentwurf abzustimmen. Der neue Vertrag - der die wesentlichen Bestimmungen der Verfassung beinhaltet - wurde im Dezember 2007 feierlich in Lissabon unterzeichnet. Bisher haben die Parlamente von 15 Staaten zugestimmt.
Sollte die Ratifizierung in Irland am 12. Juni scheitern, so wäre nach Ansicht von EU-Diplomaten kaum vermittelbar, wieso die Iren im Gegensatz zu Niederländern und Franzosen ein zweites Mal über den Vertrag abstimmen sollten. Denn auf diese Weise hatte man das Problem nach dem Nein zum Nizza-Vertrag gelöst: Bei einer zweiten Abstimmung im Oktober 2002 sagten bei höherer Wahlbeteiligung (fast 50 statt zuvor 35 Prozent) nun 62,9 Prozent Ja zum Vertrag. Dabei half eine ergänzende Erklärung über die Bewahrung der irischen Neutralität.
Sarkozy-Faktor ausschließen
Selbst wenn der "Lissabon-Vertrag" durch ein irisches Nein nun nicht hinfällig werden würde: Auf jeden Fall könnte er nicht wie geplant im Januar 2009 in Kraft treten. Damit wären wichtige Personalentscheidungen blockiert, neue schwere Konflikte durch die weitere Gültigkeit des Nizza-Vertrags vorgezeichnet.
Die Europäische Union müht sich, keinen irischen Wähler zu verschrecken. Zum in Irland höchst sensiblen Thema der Unternehmensbesteuerung herrscht in Brüssel Funkstille, für April geplante neue Regeln für europäische Investmentfonds wurden bis auf weiteres aufgeschoben. Schon die Iren selbst hatten das eigentlich für Oktober geplante Referendum auf den Juni vorgezogen: Einem internen Papier zufolge schreckte sie die Aussicht, der "völlig unberechenbare" französische Präsident Nicolas Sarkozy könne die enge militärische Zusammenarbeit der EU während seiner Ratspräsidentschaft zu einem Hauptthema machen, so sehr, dass sie durch flottes Abstimmen den Sarkozy-Faktor ausschließen wollten.
Ob dies alles zum "Ja" führt, wird sich am 12. Juni zeigen. Bei Umfragen führen die Befürworter zwar vor den Gegnern, doch sehr viele Iren sind noch unentschlossen. Wesentlich werde also sein, wie groß die Beteiligung am Referendum ist, sagen EU-Diplomaten. Bei sehr niedriger Beteiligung ist die Gefahr eines Nein groß - wie 2001 bei der Ablehnung des Nizza-Vertrages.
Von Dieter Ebeling, dpa
Quelle: ntv.de