Völkermord an den Armeniern Israel hält still
24.04.2005, 17:30 UhrVon Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Angelehnt an Hannah Arendts umstrittenes Buch "Die Banalität des Bösen" redet der israelische Forscher Jair Oron von einer "Banalität der Gleichgültigkeit". Schon kurz nach den Massakern an Armeniern gab es in der zionistischen Bewegung unterschiedliche Sichtweisen. Die unter den Osmanen in Palästina geborenen Juden erwiesen sich als "unterwürfig" und schwiegen. Die aus Russland eingewanderten Juden hingegen waren kritischer. "Wir, die Zionisten, empfinden aufrechtes Mitgefühl mit dem Schicksal des armenischen Volkes", schrieb 1918 der Sekretär von Chaim Weizman, der 1948 der erste Staatspräsident des jüdischen Staates werden sollte.
Unter dem Buch-Titel "Leugnung, Israel und der armenische Genozid", untersuchte Oron die "aktiven Schritte des Staates Israel, jegliche Versuche zu unterbinden, die Erinnerung an die armenischen Opfer des türkischen Völkermordes zu wecken." So stellte er fest, dass die Israelis und der Staat Israel bei Massenmorden seit 1948, etwa in Tibet, Biafra, im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda, "praktisch wegschauten". Oron ist enttäuscht, dass ausgerechnet in Israel, wo jüdische Werte und die "tragische Erinnerung an die Schoah" in den Schulen gelehrt werden, fast kein Mitgefühl für das Leiden anderer Völker auszumachen sei. Das sei umso überraschender, nachdem die ganze Welt viel Mitgefühl für das Schicksal der Juden aufgebracht und die Errichtung des Staates Israel unterstützt habe.
Im April 2000 kam es zu einer Krise mit der Türkei, als der damalige Erziehungsminister Jossi Sarid öffentlich vom "armenischen Genozid" sprach und vorschlug, das Thema in den Geschichtsunterricht einzubringen. "Zynisch", so Oron, erklärten damals israelische Diplomaten den empörten Türken, dass dieses Thema "von Historikern und nicht von Politikern aufgearbeitet werden sollte".
Im Jahr 2000 veröffentlichte das israelische Außenministerium eine Broschüre über christliche Gemeinden in Israel. Darin kam der Satz vor: "Nach dem ersten Weltkrieg, mit der Aufnahme von Flüchtlingen vom Massaker in Anatolien, vor allem dem Massenmord von 1915, wuchs die armenische Gemeinde." Nach türkischen Protesten hieß es in späteren Auflagen: "Nach dem ersten Weltkrieg wuchs die armenische Gemeinde".
Oron zitiert dazu einen "hohen Beamten" aus dem Außenministerium: "Wir haben da ein Problem wie viele andere Länder mit guten Beziehungen mit der Türkei. Wir stehen da zwischen Hammer und Amboss. Sofort gibt es Ärger, wenn man sich verspricht. Vor kurzem weigerten sich die Türken, Professor Ehud Toledano als Botschafter zu akzeptieren, weil er zehn Jahre zuvor in einer akademischen Veröffentlichung etwas gegen die Türken geschrieben hatte. Ausgerechnet als Söhne der Schoah, die von der ganzen Welt anerkannt worden ist, fällt uns das sehr schwer. Jedes Mal, wenn wir die Armenier erwähnen, müssen wir dreimal nachdenken, wie wir "das" nennen sollen. Unsere (offizielle) Position ist, dass wir das Leiden der Armenier anerkennen, uns aber vor den historischen Umständen drücken und nicht den 'Schuldigen' suchen."
Sogar in Armenien drücken sich israelische Diplomaten um eine Anerkennung des "Völkermordes". Botschafterin Rivka Cohen erklärte, dass Israel die Leiden der Armenier anerkenne, aber die Schoah an den Juden sei nun mal einzigartig in der Weltgeschichte und deshalb dürfe nichts mit dem von den Nazis ausgeführten Holocaust verglichen werden. Wütende Armenier in aller Welt forderten, die Botschafterin zur "persona non grata" zu erklären. Nach weltweiten armenischen Protesten vor israelischen Konsulaten - die von der israelischen Presse nicht einmal wahrgenommen wurden - veröffentlichte das israelische Außenministerium eine diplomatische Note, in der es hieß, dass Israel niemals die "Ereignisse von 1915 und 1916 verleugnet habe oder ihren Wert minderte." Als Juden und Israelis seien sie besonders empfindsam gegenüber "den Tötungen und menschlichen Tragödien 1915-1916, in den letzten Jahren des Osmanischen Reiches." Weiter heißt es in der offiziellen Stellungnahme: "Die Erforschung der Ereignisse bei diesem delikaten Thema muss durch eine öffentliche Diskussion und durch Historiker geschehen, natürlich nur aufgrund von Dokumenten und Tatsachen." Die Worte "Türkei" oder "Türken" kamen ebenso wenig vor wie "Völkermord" oder "Genozid".
Auch dieser Tage, aus Anlass des 90. Jahrestages, gibt es in Israel Akademiker und linksgerichtete Politiker, die eine Anerkennung des Völkermordes von 1915 fordern. Der israelische Rundfunk zitierte jedoch einen Beamten des Erziehungsministeriums: "Wir können doch nicht jeden Aspekt der Menschheitsgeschichte in unseren Schulbüchern behandeln..."
Quelle: ntv.de