Dossier

Traum des Kosovo erfüllt Jetzt kommen die Probleme

Wohl keiner der zwei Millionen Albaner im Kosovo hat nicht an den Jubelfeiern zur Unabhängigkeit des neuen Staates teilgenommen. Nach friedlichen Demonstrationen in den 80er Jahren, dem Aufbau eines albanischen Parallelsystems in Schulen und Verwaltung und schließlich nach dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren geht ein Traum in Erfüllung. Doch die hochgesteckten Erwartungen, durch die neue Selbstständigkeit werde sich der miserable Lebensstandard der meisten Albaner in Windeseile dramatisch verbessern, könnte schnell enttäuscht werden. Denn die wirklichen Probleme des Landes beginnen erst jetzt.

Kurzfristig muss die Region mit der Blockade durch Serbien fertig werden. Die Kappung von Lebensmittel- und Stromlieferungen und die Unterbrechung der wichtigsten Verkehrswege durch Belgrad dürften die soziale Lage der Bevölkerung noch erschweren. Mittelfristig müssen ausländische Firmen überzeugt werden, dass sich private Investitionen im Kosovo lohnen. Nur Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur, in den Bergbau sowie die Strom- und Landwirtschaft schaffen Arbeitsplätze, die bei einer Arbeitslosenquote von regional bis zu 80 Prozent händeringend gesucht werden.

Die größten Aufgaben stellen sich langfristig. Wird es mit Hilfe der EU-Experten, also mit Polizisten, Richtern, Zöllnern und Verwaltungsfachleuten gelingen, einen wirklich demokratischen Staat aufzubauen? Denn bisher ist das Kosovo trotz fast einem Jahrzehnt mit ausländischen Helfern und vielen Milliarden Euro-Schenkungen nach Einschätzung vieler Beobachter ein Dreh- und Angelpunkt europäischer Kriminalität geblieben. Die Stichworte heißen Menschenschmuggel, Prostitution, Waffen- und Drogenhandel im großen Stil. Bewiesen ist es nicht, doch alle sprechen davon als einem "offenen Geheimnis": Viele Spitzenpolitiker sollen ins organisierte Verbrechen verstrickt sein.

EU in der Zwickmühle

Ausländische Politiker und Diplomaten wiederholen gebetsmühlenartig, dass sich der neue Kosovo-Staat nicht mit anderen Regionen zusammenschließen dürfe. Doch hinter vorgehaltener Hand wird überall zugegeben, dass mit der Unabhängigkeit auf dem Balkan eine neue Vereinigungsdynamik geschaffen wird. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann sich alle Albaner - im Kosovo, in Mazedonien, Montenegro, Südserbien und in der "Mutterrepublik" Albanien - zu einem einzigen staatlichen Gebilde zusammenschließen wollen. Denn schließlich sind die Albaner mit sechs Millionen Menschen eines der größeren Völker auf der Balkanhalbinsel.

Die Europäische Union, deren große Mehrheit das Kosovo diplomatisch anerkennen wird, steckt in einer Zwickmühle. Im Augenblick stimmen die Kosovo-Albaner allen Auflagen aus Brüssel zu, damit ihre Unabhängigkeit nicht auf den letzten Metern vor dem Ziel noch gefährdet wird. Auch ist der wirtschaftliche Genesungsprozess ohne die Hilfe der EU nicht einmal denkbar. Doch was geschieht, wenn die Kosovo-Albaner der Gängelei durch die Union überdrüssig werden und sich den Brüsseler Vorgaben entziehen? Viele sehen in einer schnellen EU-Mitgliedschaft des Kosovos die Lösung dieser Probleme. Doch böse Zungen sprechen in diesem Falle stets von der Gefahr einer "Balkanisierung" der Union selbst.

Von Thomas Brey, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen