Dossier

"Ich mische mich halt ein" Joachim Gauck wird 70

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Joachim Gauck am 5. August 1992 in der Außenstelle der Behörde in Halle.

(Foto: dpa)

Für ihn ist die Interesselosigkeit ein Hauptfeind: Joachim Gauck will Menschen aktivieren und betrachtet die Stasi-Unterlagenbehörde als "eine Apotheke gegen Nostalgie".

Joachim Gauck ist es gewohnt, dass ihm die Menschen zuhören, dass sie eine Botschaft von ihm haben wollen. "Ich habe nur aufmerksame Zuhörer, ich kenne nichts anderes", sagt der frühere Bundesbeauftragte für die Unterlagen des DDR- Staatssicherheitsdienstes, kurz: Stasi-Unterlagenbehörde. Er tourt zurzeit auf Lesereise durchs Land und stellt seine eben erschienenen Erinnerungen "Winter im Sommer - Frühling im Herbst" vor. "Die Menschen freuen sich, wenn sie hören, dass sie auf einem guten Weg sind. Sie wollen glauben, dass Freiheit und Verantwortung lebbare Möglichkeiten sind." Worte, in denen sich klar seine Vergangenheit als Seelsorger widerspiegelt. Der gebürtige Rostocker wird am 24. Januar 70 Jahre alt.

Seit seiner Verabschiedung als Behördenchef vor knapp zehn Jahren setzt sich Gauck für sein großes Anliegen "Gerechtigkeit in der Gesellschaft" ein. "Ich mische mich halt ein", betont er. Das macht er neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit in erster Linie als Vorsitzender des Vereins gegen Vergessen und für Demokratie, wo er sich für die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland engagiert. "Wir sind gegen Rechtsradikale und andere Feinde der Demokratie."

Die Entbehrung als Korrektiv

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Vor der Wende war Gauck Pfarrer.

(Foto: dpa)

Einer der Hauptfeinde ist für ihn die Interesselosigkeit. Die Menschen müssten aktiviert werden, die Bürgerrechte wahrzunehmen. "Es gibt eine Tendenz, dass man völlig ohne Unterdrücker auf sein Wahlrecht verzichtet", sagt Gauck kopfschüttelnd in Erinnerung an die ersten 50 Jahre seines Lebens, in denen er auf demokratische Errungenschaften verzichten musste. "Ich hatte keine Freiheit, keine Bürgerrechte, keinen Rechtsstaat, auf den ich mich verlassen konnte. Ich konnte nicht frei und ohne Behinderung meinen Glauben leben." Gauck war vor der Wende Pfarrer in Lüssow im Landkreis Güstrow und in Rostock.

Die lange Entbehrung so vieler Bürgerrechte ist für ihn bei der Beurteilung der Gegenwart ein wichtiges Korrektiv. "Eine solche Gesellschaft mit Bürgerrechten und Pressefreiheit werde ich immer mit Dankbarkeit und Glück anschauen", betont Gauck - und legt gleich den Finger in die offenen Wunden einer Gesellschaft, in der die Menschen schneller bereit seien zu jammern, sich nicht über Erfolge freuen könnten und weniger dankbar seien als anderswo. "Deutsche fühlen sich gern schlecht." Gegen diese "Verdruss-Süchtigkeit" wolle er sich weiterhin einsetzen.

Eine "Apotheke gegen Nostalgie"

Der vierfache Vater und neunfache Großvater verlangt von der Gesellschaft Wachsamkeit, um die mühsam errungene Rechtssicherheit nicht weiter zu gefährden. Er sieht die Gefahr, dass aus Angst vor Terroristen die Sicherheitsbedürfnisse so hoch geschraubt werden, dass die Bürgerrechte leiden "und wir nicht mehr Herr unserer Daten sind". Wenn es Beweise für die Wirksamkeit solcher Maßnahmen gebe, gehe das ja an - aber allein aus Verdacht die Rechte zu beschneiden, sei ein gefährlicher Trend, da möchte er wachsame Bürger haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Gauck als "Versöhner, Einheitsstifter und Mahner". Der frühere Pfarrer trete wortmächtig für Demokratie ein und wirke gegen das Vergessen, sagte Merkel bei einer Feier zu seinem Geburtstag in Berlin. Die Kanzlerin mahnte, der Verklärung von Geschichte entgegenzutreten. Die Behörde für die Stasi-Unterlagen habe unter Gauck Maßstäbe gesetzt, dass es nicht um Rache gehe, sondern um Aufarbeitung.

Seit ihrer Gründung 1991 gingen bei der Behörde fast 6,5 Millionen Anträge ein. 180.000 Regalmeter Akten sind archiviert. Darunter befinden sich 40 Millionen Karteikarten und hunderttausende Bild- und Tondokumente. Knapp 80 Kilometer Material wie Berichte von Inoffiziellen Mitarbeitern und Abhörprotokolle lagern allein im Berliner Zentralarchiv. Gauck geht davon aus, dass es die Behörde noch weitere zehn Jahre geben wird. "Sie ist ein Segen für die ehemals Unterdrückten und so etwas wie eine Apotheke gegen Nostalgie", sagte er in einem Zeitungsinterview.

Quelle: ntv.de, Joachim Mangler, dpa

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