Pressefreiheit in Sri Lanka Journalisten bangen um Leben
08.02.2009, 14:21 UhrSie kamen am Morgen: Als der Chefredakteur der letzten regierungskritischen Zeitung Sri Lankas, Lasantha Wickrematunga, sich auf den Weg zur Redaktion des "Sunday Leader" bei Colombo machte, folgten ihm seine Mörder auf Motorrädern. Dann versperrten sie seinem Wagen den Weg und eröffneten das Feuer. Wickrematungas Tod war der bislang schwerste Schlag für die Pressefreiheit in Sri Lanka, die wie andere Bürgerrechte zum Opfer des Krieges gegen die Tamilen-Rebellen der LTTE geworden ist. Einen Monat nach dem Mord versammelten sich Verwandte, Freunde und Kollegen am Grab des Journalisten, um seiner zu gedenken. Wickrematunga hatte seinen Tod geahnt - und eine politische Zeitbombe hinterlassen.
Der 50-Jährige hatte seinen eigenen Nachruf geschrieben, der im "Sunday Leader" veröffentlicht wurde. "Wenn ich schließlich getötet werde, dann wird es die Regierung sein, die mich umbringt", heißt es in dem Text, der in Anlehnung an ein Gedicht des NS-Gegners und Theologen Martin Niemöller mit dem Titel "Und dann kamen sie mich holen" überschrieben ist. An Präsident Mahinda Rajapakse gerichtet, schrieb Wickrematunga weiter: "Ich weiß, dass Sie nach meinem Tod all die üblichen scheinheiligen Töne von sich geben und die Polizei zu einer schnellen und eingehenden Untersuchung auffordern werden. Aber wie bei allen von ihnen in der Vergangenheit angeordneten Untersuchungen wird auch diese ohne Ergebnis bleiben."
Auf dem Pressefreiheits-Index auf Platz 165
Tatsächlich haben die Ermittler auch einen Monat nach dem Mord an dem Familienvater weder Täter noch Hintermänner präsentiert. Rajapakse wies alle Vorwürfe von sich und betonte, seine Regierung garantiere Pressefreiheit. Doch um die ist es in Sri Lanka schlecht bestellt. Stand das südasiatische Land 2003 auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen noch auf Platz 89, landete es im vergangenen Jahr auf Platz 165 - von 173. Schlechter schneiden nur noch Staaten wie Nordkorea, Iran oder Birma ab, deren Regierungen sich im Gegensatz zu der in Colombo allerdings gar nicht erst den Anschein geben wollen, demokratisch zu sein.
Nach Regierungsangaben wurden seit Anfang 2006 - kurz nach Rajapakses Amtsantritt - neun Journalisten ermordet, acht Tamilen und Wickrematunga, der der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit angehörte. Amnesty International berichtet in dem Zeitraum von mindestens 14 getöteten Mitarbeitern von Medien. "Andere wurden willkürlich festgenommen, gefoltert und sind angeblich verschwunden, während sie im Gewahrsam der Sicherheitskräfte waren." Mehr als 20 Journalisten seien nach Todesdrohungen aus dem Land geflohen.
Sri Lanka gefährlicher denn je
Ein Menschenrechtsanwalt in Colombo meint, Sri Lanka sei zu einem "Polizeistaat" mit gleichgeschalteter Presse geworden. Ein einheimischer Reporter, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt, es sei noch nie so gefährlich gewesen wie jetzt, Journalist zu sein. Zwar gebe es anders als früher keinen offiziellen Zensor, "aber das hier ist viel schlimmer als Zensur". Regierungskritiker riskierten, öffentlich als LTTE-Unterstützer angeprangert zu werden - ein lebensgefährlicher Vorwurf. Wie sensibel die Regierung reagiert, erfuhr auch der deutsche Botschafter Jürgen Weerth. Nach einer kurzen Trauerrede auf Wickrematungas Beerdigung, die Weerth für das diplomatische Korps hielt, wurde er vom Außenministerium einbestellt.
Die letzte landesweite Zeitung in Sri Lanka, die sich nicht einschüchtern ließ, ist der "Sunday Leader". Lasantha Wickrematunga hatte das Blatt 1994 mit seinem älteren Bruder Lal gegründet, acht Redakteure schrieben damals dort, zu Beginn lag die Auflage nur bei 7000 Stück. Inzwischen kaufen jeden Sonntag mehr als eine Viertelmillion Leser die englischsprachige und die singhalesische Ausgabe. Lasantha Wickrematunga, der als der beste investigative Journalist des Landes galt, wird der Redaktion bitter fehlen. Im Büro des ermordeten Chefredakteurs liegen noch ungeöffnete Briefe, unter der Glasplatte seines Schreibtisches sind Fotos seiner drei Kinder.
Unberechenbar werden
Lal Wickrematunga hat Lasanthas Job übernommen. Auch er hat drei Kinder, mit denen er aus Angst vor Anschlägen nie im selben Auto fährt. Auf dem Weg zur Arbeit nimmt er jeden Morgen eine andere Route, er bricht nie zu einer bestimmten Zeit auf, um für Attentäter nicht berechenbar zu sein. Seine Ehefrau rufe ihn jede halbe Stunde an, um zu wissen, wo er sei, sagt er. Seine Eltern und seine verbliebenen Geschwister lebten im Ausland, die meisten in Toronto, ein Bruder arbeitet im niedersächsischen Delmenhorst. Er ist der letzte, der in Sri Lanka ausharrt.
Niemand aus der Redaktion habe nach Lasanthas Tod gefehlt oder gar gekündigt, sagt Lal Wickrematunga. Daran denkt auch Redakteurin Dilrukshi Handunnetti nicht. Journalismus, sagt sie, sei zwar ein Beruf, "von dem ich nicht wollte, dass ihn irgendwer ergreift, den ich liebe". Sie aber halte es nun für ihre Pflicht weiterzumachen. Das gilt auch für Lal Wickrematunga. "Ich muss zusehen, dass Lasanthas Arbeit erledigt wird. Ich werde nicht weggehen." Ansonsten, so meint der 58-Jährige, "wäre Lasantha umsonst gestorben".
Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de