Agentenjagd in Polen Kaczynskis rechnen ab
21.01.2007, 09:26 UhrEhemalige Beamte des kommunistischen Geheimdienstes in Polen, bei der Überwachung von Dissidenten ergraut, müssen sich künftig womöglich warm anziehen, weil die schmale Rente nicht mehr für eine warme Heizung reicht: Nach dem Willen von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski und seiner nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sollen Ex-Agenten im Ruhestand nur noch die Minimalrente erhalten. Wer trotz kommunistischer Funktionärsvergangenheit noch immer im Staatsdienst tätig ist, soll entlassen werden.
So will es die Erklärung "Erinnerung und Verantwortung", die Kaczynski kürzlich vorstellte. Die PiS will einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament einbringen und kann mit den Stimmen ihrer Koalitionspartner auf die notwendige Mehrheit hoffen. Ein Veto von Staatspräsident Lech Kaczynski ist nicht zu erwarten: Wie sein Zwillingsbruder an der Regierungsspitze setzt er sich schon seit langem für eine Abrechnung mit der kommunistischen Vergangenheit ein.
Nach dem Skandal um den wegen seiner Geheimdienstkontakte zurückgetretenen Warschauer Erzbischof Stanislaw Wielgus haben viele polnische Medien ihre "Agentenjagd" verstärkt. Die spektakuläre Enttarnung ehemaliger Spitzel schlägt als Schlagzeilenthema Korruptionsskandale oder Regierungskrisen. Jaroslaw Kaczynski wollte mit seiner Deklaration nun daran erinnern, dass das eigentliche Problem nicht die Spitzel in Kirche, Medien oder Bürgerrechtsbewegung waren, sondern die Geheimdienstfunktionäre, die die Fäden in der Hand hielten.
Linke Politiker sehen in den PiS-Plänen den Versuch einer "Siegerjustiz" und einer Säuberung des öffentlichen Lebens von allen, die eine kommunistische Vergangenheit hatten. Doch die Jagd auf Spitzel hat gerade nach dem Fall Wielgus Konjunktur und beschränkt sich bei weitem nicht auf die Kirche. Jüngste Fälle der Verdächtigungen von Geheimdienstkontakten trafen Marek Borowski, den Parteivorsitzenden der Sozialdemokraten, und einen bekannten Fernsehjournalisten.
Gerade junge Polen, die höchstens Kindheitserinnerungen an die Jahre des Kommunismus haben, sprechen sich für Aufklärung der Geheimdienstakten aus. Nach einer von der Tageszeitung "Dziennik" in Auftrag gegebenen Umfrage sind 67 Prozent der 20- bis 25-Jährigen für die Aufdeckung der Akten. 60 Prozent meinen, die Aufklärung über Spitzelkontakte seien etwas, was das demokratische Polen den Opfern des Kommunismus schulde. "Man muss mit der Vergangenheit abrechnen", meinte etwa die Studentin Aleksandra Marzec und ihr Kommilitone Jakub Stocki könnte "niemanden als Autorität akzeptieren, der mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitete."
Doch nicht nur Ministerien und öffentliche Verwaltung sollen knapp 18 Jahre nach Ende des Kommunismus in Polen von dessen Resten "gesäubert" werden. Regierungschef Kaczynski forderte, nach der Umbenennung von Leninalleen und Marx-Plätzen müssten nun auch Nebenstraßen und Gassen neue Namen erhalten, wenn sie kommunistische Namensgeber hatten. Und in Warschau wird darüber diskutiert, ein Denkmal zur Erinnerung an sowjetische Befreier durch Umgestaltung einer Straßenkreuzung einer neuen Straßenbahnhaltestelle zu opfern.
Von Eva Krafczyk, dpa
Quelle: ntv.de