Zehn Todesopfer in Ägypten Kampf um Brot
25.03.2008, 12:37 UhrIn Ägypten hat der Kampf um das tägliche Brot in den vergangenen drei Wochen zehn Todesopfer gefordert. Denn die hohen Preise für Weizen auf dem Weltmarkt haben dafür gesorgt, dass das subventionierte Brot für die Armen am Nil so knapp geworden ist, dass es in den langen Warteschlangen vor den Bäckereien inzwischen zu tödlichen Schlägereien kommt.
Doch die Wut der Menschen, die teilweise drei Stunden lang anstehen, um für ein ägyptisches Pfund (rund zwölf Cent) 20 kleine Brotfladen zu kaufen, richtet sich nicht nur gegen den Nachbarn, der versucht, sich vorzudrängeln. Sie richtet sich ebenso gegen den korrupten Bäcker und teilweise auch gegen die Regierung, die das Wirtschaftswachstum lobt, obwohl die Mehrheit der Tagelöhner, Putzfrauen, Tee-Boten, Taxifahrer, Lehrer und Beamten mit Niedriglöhnen nicht davon profitiert.
Existenzbedrohende Korruption
"Ein Verwandter von mir betreibt eine staatliche Bäckerei. Wenn er vom Versorgungsministerium acht 50-Kilo-Säcke Mehl für jeweils acht Pfund (knapp ein Euro) kauft, dann benutzt er zwei davon zum Brot backen. Die restlichen sechs Mehlsäcke verkauft er für 120 Pfund pro Stück auf dem Schwarzmarkt", berichtet ein Journalist aus Kairo. Darauf angesprochen habe der Verwandte nur verächtlich geschnaubt und erklärt: "Wovon soll ich denn meine Kinder ernähren - außerdem sind ja auch die Beamten im Versorgungsministerium korrupt."
Korruption hat es in Ägypten, genau wie andernorts in der arabischen Welt, auch früher schon gegeben. Doch inzwischen merkt man in den ägyptischen Städten auch, dass der Kampf um die knappen Ressourcen härter wird. Alle 23 Sekunden wird in Ägypten ein Kind geboren. Inzwischen leben in dem nordafrikanischen Land, das zum Großteil aus Wüste besteht, fast 75 Millionen Menschen. Es fehlt an Arbeitsplätzen und an Wohnraum. Im Bus herrscht Gedränge. Wer in einem staatlichen Krankenhaus operiert werden will, ohne jemanden zu bestechen, der erlebt den OP-Termin oft nicht mehr.
Als vergangenen Donnerstagnacht ein Auto in der Kairoer Innenstadt von einer Brücke fiel, hielten Dutzende Schaulustige an, um bei den Rettungsarbeiten zuzuschauen. Ein junger Chauffeur, dem die gleichgültigen Gesichter der Schaulustigen auffielen, kommentierte: "Vielleicht denken sie bloß: "Na ja, einer weniger, macht nichts". Vielleicht denken sie aber sogar: 'Gut, da hat einer einen Platz frei gemacht.'"
Die Wut wächst
Dass die Wut über den täglichen Überlebenskampf wächst, lässt sich auch daran ablesen, dass nun immer mehr Berufsgruppen protestieren oder streiken, um höhere Gehälter oder bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. So ging es bei der jüngsten Protestversammlung der Ärztegewerkschaft, in der die Islamisten stark vertreten sind, ausnahmsweise einmal nicht um "die Unterstützung für die Brüder in Palästina" sondern um die Lage der unterbezahlten Ärzte. Und auch die Muslimbruderschaft versucht seit einigen Monaten, ihre Anhängerschaft mit Kritik an den niedrigen Löhne und den hohen Lebensmittelpreisen zu mobilisieren, anstatt wie bisher nur auf ihren alten Slogan "Der Islam ist die Lösung" zu setzen.
Unterdessen wird vor staatlichen Bäckereien, wo die Nachfrage immer größer wird und die Brotfladen immer kleiner werden, weiter geprügelt, manchmal sogar geschossen. Am vergangenen Donnerstag versuchte in der Mittelmeer-Hafenstadt Alexandria ein Mann einen anderen mit dem Messer zu töten. Vor einer anderen Bäckerei schoss ein Bäcker auf mehrere Kunden, mit denen es zuvor Streit gegeben hatte.
Lichtblicke
Von positiven Ereignissen, wie Freundschaften oder Ehen, die beim stundenlangen Stehen in den nach Männern und Frauen getrennten Warteschlangen zustande gekommen wären, schreibt allerdings niemand.
Zumindest der Humor scheint den Ägyptern noch nicht abhandengekommen zu sein. Ein ägyptischer Karikaturist zeichnete vergangene Woche einen Mann, der im Gesundheitsamt sein Kind registrieren lassen will. Der Vater sagt: "Ich möchte unser Baby 'Fladen' nennen, weil meine Frau es in der Warteschlange vor der Bäckerei zur Welt gebracht hat."
Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Quelle: ntv.de