Wahlcomputer Karlsruhe prüft Zulässigkeit
24.10.2008, 10:43 UhrGegen seine Wahlcomputer, so glaubte Jan Groenendaal, hätten Hacker absolut keine Chance. "Dass man auf unserer Wahlmaschine auch Schach spielen kann, würde ich gern vorgeführt bekommen", tönte der Geschäftsführer der holländischen Firma Nedap. Eine deutsch-holländische Hackergruppe fackelte nicht lang, beschaffte sich ein Gerät und installierte kurzerhand Tom Kerrigans Simple Chess Programm. Technisch kein Problem - es dauerte nur etwas, die Schachfiguren auf dem schrägen Bedienpult mit Magneten zu fixieren.
Diese Episode vom Oktober 2006, geschildert in der Computerzeitschrift c't, wird am 28. Oktober vor dem Bundesverfassungsgericht eine Rolle spielen. Erstmals steht dort die Zulässigkeit von Wahlcomputern auf dem Prüfstand. Das Karlsruher Gericht verhandelt über zwei Wahlprüfungsbeschwerden gegen den Einsatz von mehr als 1800 Wahlcomputern bei der letzten Bundestagswahl - ebenfalls Geräte der Firma Nedap.
Wenig Illusionen über die Sicherheit
Denn die Hacker haben die Wahlmaschinen im Nachbarland - die den in Deutschland verwendeten Modellen gleichen - nicht zur zum Schachspielen eingesetzt. Im holländischen Fernsehen führten sie vor laufender Kamera vor, wie sich in knapp fünf Minuten das Steuerungsprogramm austauschen lässt - gegen eine Software, die zum Stimmenklau taugt.
Ulrich Wiesner, der die Beschwerde in Karlsruhe gemeinsam mit seinem Vater, dem emeritierten Politikwissenschaftler Joachim Wiesner, eingelegt hat, macht sich wenig Illusionen über die Sicherheit der Computer: "Es gibt zahllose Angriffsmöglichkeiten", sagt der Angestellte einer Software-Firma - von der Manipulation des Programms bis zum Austausch des Stimmenspeichers. "Man kann einfach nur hoffen, dass es keiner macht."
Über Nacht privat gelagert
Zwar sind die in Deutschland eingesetzten Wahlcomputer vom Typ ESD 1 und ESD 2 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt auf Herz und Nieren geprüft worden. Allerdings gilt das nur für Mustergeräte. Ob beim einzelnen Computer alles korrekt installiert ist, dafür verlässt man sich auf die Angaben des Herstellers. Bei Feuerlöschern, kritisieren die Kläger, sei der Sicherheitsstandard höher.
Gelegenheit zur Manipulation gibt es aus Sicht der Kritiker mehr als genug. Denn die Wahlcomputer würden nicht etwa bis zum nächsten Wahltermin sicher weggeschlossen, sondern an Vereine oder Firmen vermietet, heißt es in der Beschwerdeschrift. Und was der Chaos Computer Club von der Hessenwahl im Januar berichtet, klingt nach dem Fuchs, der den Hühnerstall bewacht: Wahlcomputer der Gemeinde Niedernhausen seien über Nacht privat gelagert worden - zu Hause bei Lokalpolitikern.
Ist die Wahlurne überlegen?
Doch der Haupteinwand der Karlsruher Kläger reicht noch weiter. Wahlen müssen transparent und öffentlich abgehalten werden. Deshalb darf jeder Wähler im Wahllokal bleiben und sich vom korrekten Funktionieren des demokratischen Prozesses vergewissern; auch Sitzungen der Wahlausschüsse und Wahlvorstände sind öffentlich. "Wenn ein Prozess dagegen komplett ins Innere einer Maschine verlegt werden, dann sind Manipulationen unsichtbar", meint Wiesner.
Es ist also der "böse Schein", der den Wahlcomputer aus Sicht der Kritiker angreifbar macht - die bloße Möglichkeit, dass auf dem Weg von der Tastatureingabe bis zum Speichermodul aus einer SPD-Stimme ein Votum für die Union wird. "Die Korrektheit der Wahl muss für jedermann nachvollziehbar sein, nicht nur für Computerspezialisten", fordert Wiesner.
So könnte das höchste deutsche Gericht am Ende zu der Erkenntnis kommen, dass die gute alte Wahlurne - die sich notfalls aus einem Pappkarton basteln lässt - dem Computer in punkto Transparenz überlegen ist. Weil die Urne ein "passives" Gerät ist und die Stimmzettel einfach aufnimmt, während im Computer Dateneingaben immer verarbeitet werden. Die Niederlande haben jedenfalls die Konsequenz aus dem desaströsen Nedap-Hack gezogen. Bis auf weiteres werde man wieder mit Papier und Bleistift wählen lassen, beschloss der Ministerrat im Frühjahr.
Quelle: ntv.de, Wolfgang Janisch, dpa