n-tv.de Interview mit Paul Nolte Keine Angst vor fünf Parteien
29.01.2008, 13:39 UhrSeit den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen lässt es sich nicht mehr leugnen, dass Die Linke in ganz Deutschland angekommen ist und dass das Mehrparteiensystem Zuwachs erhalten hat. Viele kleine Parteien in einem Parlament erinnern an die Weimarer Republik oder auch an den ersten Bundestag. Über die Chancen für die Demokratie sprach n-tv.de mit Paul Nolte, er ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.
n-tv.de: Herr Professor Nolte, müssen wir Angst haben vor einem Zuwachs innerhalb des deutschen Mehrparteiensystems?
Zur Beantwortung dieser Frage müsste man erst einmal das Mehrparteiensystem analysieren. Wir haben eigentlich kein Fünf-Parteien-System, sondern ein Zwei-Plus-Drei-Parteiensystem. Man könnte aber auch sagen, wir haben zwei 30-Prozent-Parteien und drei Zehn-Prozent-Parteien. Wir müssen davor nicht so viel Angst haben, denn diese Konstellation hat auch einen Vorteil für die Demokratie. Durch die Programme junger und neuer Parteien werden wieder Bürgerinnen und Bürger in die politische Beteiligung hineingezogen, die zuvor das Heer der Frustrierten und Nichtwähler vergrößert hatten. Das scheint mir auch bei der Linken der Fall zu sein. Die Grünen haben bereits einen Teil der Jugend integriert, die sich sonst von der Politik abgewendet hätten.
Anfang der 80er Jahre hatte es sich gezeigt, dass die Grünen mit dem Thema Umweltschutz neue Wählerschichten an sich binden konnten, bis sie erstmals 1983 den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und damit den Einzug in den Bundestag schafften. Könnte das jetzt mit der Linken auch so oder so ähnlich werden, weil die SPD nicht mehr die Heimstatt für Linksaußen sein kann?
Ich glaube schon, dass es eine eigenständige Stimmung, ein eigenständiges Milieu ist, das sich jetzt auch in Westdeutschland konstituiert hat und das die SPD nicht mehr auffangen kann. Im Gegensatz zur ökologischen Frage vom Anfang der 80er Jahre ist hier jedoch kein neues Problem entstanden. Denn gerade vor dem Hintergrund der sozialen Frage entstand einst die Sozialdemokratie, inklusive der sozialdemokratischen Linken und der kommunistischen Strömungen. Dem Phänomen der Linken verdanken wir also die Renaissance einer Bewegung, die sich an veränderten Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft mit neuen Ängsten und neuen sozialen Lagen orientiert. Das hat die SPD in ihrem bisherigen Erscheinungsbild nicht mehr auffangen können.
Sind die Zeiten der Polarisierung vorbei, wie sie Roland Koch in Hessen betrieben hat? Koch hat eindeutig versucht, klare Trennlinien zwischen den Parteien zu ziehen. Viel zu oft war der Politik vorgeworfen worden, die Grenzen würden sich verwischen. Man bedenke nur, dass sich CDU, SPD und auch FDP als Parteien der Mitte bezeichnen. Erlaubt dies aber, mit der Axt durch die Parteienlandschaft zu ziehen und die Gesellschaft zu spalten – kann man so noch Politik machen?
Ich glaube schon, dass die Unterschiede zwischen den Parteien sehr wohl noch erkennbar sind. Vieles ist auch nur Polemik, wenn es darum gehen soll, ganz bestimmte Interessen durchzusetzen. Es gibt immer jemanden, der der CDU vorwirft, nur noch sozialdemokratisch zu sein, oder umgekehrt, dass die SPD nicht mehr sozialdemokratisch genug sei. Streichen wir die Polemik weg, bleiben immer noch genug Unterschiede, wie die große Koalition in Berlin zeigt, an denen man sich abarbeiten kann. Hier kann man auch auf tiefer gehende programmatische Gegensätze verweisen, wie etwa der Gesundheitsreform. Meiner Meinung nach ist also das Zeitalter der Polarisierung noch lange nicht vorbei und ich glaube sogar, dass man auch weiterhin zugespitzte Wahlkämpfe führen wird. Das Problem mit Koch war nicht die thematische Zuspitzung, sondern, dass er auf das falsche Thema gesetzt und dies in einem völlig überzogenen Stil getan hat. Dadurch hat Roland Koch große Teile der CDU-Wählerschaft wie liberale, weltoffene, bürgerliche Schichten, wie es sie überall in Hessen und vor allem im Großraum Frankfurt gibt, verschreckt.
Also brauchen wir keine Angst haben vor einem italienischen System hier in Deutschland?
Wir werden sicherlich schwierigere Konstellationen bekommen und es wird gut sein, auch einmal einen Blick auf das italienische System zu werfen. Aber die Ursachen für die Instabilität des italienischen Systems liegen primär woanders. Mit der Anzahl der beteiligten Parteien hat der Erfolg oder das Scheitern der Demokratie nicht viel zu tun – das wissen wir inzwischen auch aus der wissenschaftlichen Betrachtung der Weimarer Republik.
Ihr persönlicher Tipp, wie geht es aus in Hessen?
Ich bin da auch noch hin und her gerissen: Entweder es gibt tatsächlich eine große Koalition, oder die FDP lässt sich noch hinüberziehen in eine Ampel – dafür spricht nach meiner Einschätzung einiges.
Mit Paul Nolte sprach Peter Poprawa
Quelle: ntv.de