Dossier

"Nicht kalt, sondern tiefgefroren" Keine Spur von Bin Laden

George W. Bush war sich einst sicher, Osama Bin Laden zu fassen und ihn für die Terroranschläge vom 11. September 2001 zur Verantwortung zu ziehen. Bis heute ist das nicht geschehen. Im Gegenteil: Bin Ladens Spur ist kalt.

Mittlerweile ist es zweifelhaft, ob Osama Bin Laden Terroranschläge noch selbst plant (undatiertes Archivfoto).

Mittlerweile ist es zweifelhaft, ob Osama Bin Laden Terroranschläge noch selbst plant (undatiertes Archivfoto).

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Demokratisierung Afghanistans gilt trotz Mängeln als erfolgreich. Zum zweiten Mal seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 durch eine US-geführte Streitmacht sind die Afghanen am 20. August aufgerufen, einen Präsidenten zu wählen. Doch das wichtigste Ziel ihres Einmarsches in das kriegszerstörte Land haben die Amerikaner bislang verfehlt. Fast acht Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist es ihnen nicht gelungen, El-Kaida-Chef Osama bin Laden zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz 27 Millionen Dollar Kopfgeld, trotz des Einsatzes von Drohnen, Spezialkommandos und Geheimdiensten: Der Aufenthaltsort des meistgesuchten Terroristen der Welt bleibt ein Rätsel.

Nach jahrelanger Suche nach Bin Laden und seinem Stellvertreter Eiman al-Sawahiri stehen die Fahnder der hochgerüsteten Weltmacht USA nicht nur mit leeren Händen, sondern auch ohne erfolgversprechende Spuren da. Davon zeugt ein Gesprächsvermerk aus einem Treffen in New York von US-Sicherheitsexperten, die führend mit der neuen Afghanistan- und Pakistan-Strategie der amerikanischen Regierung befasst sind. ImVermerk aus dem vorvergangenen Monat heißt es, "dass unsere besonders auf den Sieg über El Kaida ausgerichtete Anti-Terror-Kampagne (die die unbedingte Notwendigkeit betont, Bin Laden zu fangen oder zu töten) nicht nur kalt ist, sondern tiefgefroren".

Keine Informationen, keine Erkenntnisse

Der in dem Papier zitierte US-Experte räumt ein, "dass wir über Jahre hinweg buchstäblich keine genauen Informationen über die physischen Aufenthaltsorte weder von Bin Laden noch von Eiman al-Sawahiri gehabt haben". Man verfüge auch über keine Erkenntnisse, "wie El Kaidas komplexes und bemerkenswert sicheres und effizientes Kommando- und Kommunikationssystem eigentlich funktioniert". Möglicherweise, so heißt es weiter, halte sich die El-Kaida-Spitze im pakistanischen Quetta nahe der afghanischen Grenze auf.

Bin Laden und Co. könnten sich in diesem Falle in altbekannter Gesellschaft befinden: In Quetta sitzt nach Überzeugung nicht nur des afghanischen Geheimdienstes der Taliban-Führungsrat um Mullah Omar. Der ehemalige Chef der Taliban-Regierung in Afghanistan (1996-2001) hatte mit der Weigerung, seinen Gast Bin Laden an Amerika auszuliefern, den US-geführten Einmarsch heraufbeschworen.

Symbolfigur für den islamistischen Terror

Osama Bin Laden hat viele Bewunderer und Nachahmer.

Osama Bin Laden hat viele Bewunderer und Nachahmer.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Bin Ladens letztes bekanntes Versteck war der Höhlekomplex Tora Bora im Osten Afghanistans, unweit der Grenze zu Pakistan. Kurz nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 gelang dem "Scheich", wie der Saudi von seinen Anhängern genannt wird, von dort aus die Flucht. Seitdem wird immer wieder spekuliert, der mehrfache Familienvater könnte im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan untergetaucht sein. Den ägyptischen Arzt El-Sawahiri, Bin Ladens Stellvertreter, wollen zwei Augenzeugen in diesem Frühjahr in einem Terrorcamp im pakistanischen Distrikt Swat gesehen haben.

Der damalige pakistanische Präsident Pervez Musharraf sagte bereits Ende 2004, die Spur Bin Ladens sei erkaltet. Zuletzt wurde dem Terrorchef im Juni dieses Jahres eine Tonband-Nachricht zugeschrieben. Darin drohte der El-Kaida-Gründer in gewohnter Manier Amerika und der US-Regierung von Präsident Barack Obama: "Das amerikanische Volk soll sich darauf vorbereiten, die Konsequenzen der Handlungen seiner Führung zu ernten." Experten bezweifeln, ob Bin Laden tatsächlich noch selbst Anschläge organisiert. Kein Zweifel aber besteht daran, dass der laut Interpol heute 52-Jährige zur Symbolfigur für den islamistischen Terror geworden ist.

Dabei imponiert Bin Laden mit seinem brutalen Aufbegehren gegen die Weltmacht USA nicht nur Extremisten. In einer Umfrage des amerikanischen Instituts "Terror Free Tomorrow" in Pakistan im Sommer vergangenen Jahres gaben mehr als ein Drittel der Befragten an, sie hätten eine positive Meinung über Bin Laden. Den damaligen US-Präsidenten George W. Bush hängte der El-Kaida-Chef damit um Längen ab: Bushs Zustimmungsrate lag bei weniger als zehn Prozent.

Amerikaner zu überschwenglich

Bush war es, der kurz nach den Anschlägen in den USA über Bin Laden gesagt hatte: "Wenn er glaubt, er könne sich verstecken und vor den USA und ihren Verbündeten fliehen, dann hat er sich schwer getäuscht." Im Frühjahr 2004 wagte der US-Armeesprecher in Afghanistan dann die Prognose: "Wir sind sicher, dass wir Osama bin Laden dieses Jahr fassen." Die Aussage sei im Überschwang getroffen worden, wiegelte die US-Regierung ab. Sie beantwortete Fragen nach Bin Laden danach mit der vagen Aussage, er werde seiner gerechten Strafe zugeführt werden - wann, blieb offen.

Nicht gänzlich auszuschließen ist inzwischen, dass Bin Laden am Ende triumphieren könnte. Folgt man der Argumentation des 2007 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buches "The Looming Tower" des amerikanischen Journalisten Lawrence Wright, so hatten die El-Kaida-Anschläge vom 11. September 2001 das Ziel, die USA zum Einmarsch nach Afghanistan zu bewegen. Bin Ladens Hoffnung: Die US-Armee werde am Hindukusch ebenso geschlagen wie einst die Briten und später die Sowjetunion. Angesichts der immer schlechteren Sicherheitslage am Hindukusch will selbst die US-Regierung keinen Sieg Amerikas mehr vorhersagen. In ihrer Afghanistan-Strategie heißt es: "Die Gefahr des Scheiterns ist real, und die Folgen sind schwerwiegend."

Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa

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