Dossier

"Gefährliches Spiel" Koalitionsstreit um China-Kurs

Der SPD-Nachwuchs erlebte einen kämpferischen Frank-Walter Steinmeier bei seinem ersten Auftritt als Parteivize. Selbstbewusst und ohne Anbiederung ans kritische Publikum redete er auf dem Bundeskongress der Jusos in Wolfsburg am Freitagabend knapp eine Stunde lang. Selbst vor der Verteidigung der Reformen von Exkanzler Gerhard Schröder kniff er nicht. Und die Jusos feierten ihn - keine Selbstverständlichkeit, hatten sie doch auf früheren Tagungen die erste SPD-Garnitur oft gnadenlos niedergemacht. Auffällig zurück hielt sich der frisch gekürte Vizekanzler jedoch mit Sticheleien gegen den Koalitionspartner. Zum anhaltenden Ärger um den Empfang des Dalai Lama bei Kanzlerin Angela Merkel vor zwei Monaten, der jetzt wieder zunehmend für Zündstoff sorgt, verlor er kein Wort.

Zum Angriff auf Steinmeier blies dagegen am Wochenende die Unionsspitze, die sich offenbar bereits auf ihn als wahrscheinlichen Merkel-Herausforderer für 2009 einstellt. Zum "Stichwortgeber" Pekings ernannte Fraktionschef Volker Kauder den Außenminister. Er "befeuere" mit seinem Kurs geradezu die anhaltende Verstimmung Peking, zog Kauder ähnlich wie Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vom Leder. Vor einem "gefährlichen Spiel" warnte der CDU- Außenpolitiker Eckart von Klaeden den deutschen Chefdiplomaten. In der SPD-Führung hieß es dazu, bei der Union sei man wohl nervös, weil Steinmeier die Kanzlerin in einer neuen Umfrage im Popularitäts-Vergleich überholt habe.

Das ohnehin eisige Verhältnis zu Peking dürfte in nächster Zeit noch vor weiteren Belastungsproben stehen. Nach der kurzfristigen Ausladung von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) folgt in dieser Woche voraussichtlich auch die erste richtig schmerzliche Retourkutsche für den Dalai-Lama-Empfang. Absehbar ist, dass Peking ein Veterinär-Abkommen mit Berlin vorläufig platzen lässt, das deutschen Schweinezüchtern Zugang zum weltgrößten Abnehmermarkt eröffnen würde. Die holländische und spanische Konkurrenz bekam problemlos die begehrte Lizenz. Und ohne große Gewissensbisse wegen der deutsch-chinesischen Querelen dürfte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Peking in den nächsten Tagen großzügige Milliardenaufträge für die Wirtschaft seines Landes einsammeln.

Der Richtungsstreit, ob Realpolitik gegenüber wirtschaftlich starken Autokratien gerade für eine führende Exportnation wie Deutschland weiter notwendig ist, dürfte länger dauern. Hilft "stille Diplomatie" unterdrückten Minderheiten und Oppositionellen weiter, wie Steinmeier meint, oder eine betont "wertegebundene" Außenpolitik, wie die Union neuerdings glaubt? Mit Besorgnis werden im Auswärtigen Amt (AA) Hinweise dafür registriert, dass die Union zu einer "Konfrontationsstrategie" im Verhältnis zu Peking übergehen könnte. So wurde in einem im Oktober präsentierten neuen Asien-Konzept der Union bereits offen eine demonstrative Abwendung von Peking propagiert. Zu "wirtschafts- und chinakonzentriert" sei die bisherige deutsche Politik gewesen, gab von Klaeden als künftige Marschrichtung der Union vor.

Gerade noch verhindert werden konnte vor zwei Wochen zusätzlicher Ärger mit Peking. Der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Günter Nooke (CDU), wollte im Außenamt im Alleingang eine Vertreterin der auf Unabhängigkeit von China drängenden islamischen Uiguren empfangen. Nooke hatte sich zuvor bereits dafür stark gemacht, im US-Gefangenenlager Guantnamo inhaftierte uigurische Terrorverdächtige in Deutschland aufzunehmen. In Steinmeiers Ressort gibt es auch Zweifel, ob in der Union noch alle zu der bislang einvernehmlich vertretenen Ein-China-Politik stehen. Eine schon immer starke "Taiwan-Lobby" gewinne bei CDU und CSU spürbar an Boden, heißt es im AA.

Der breiten Zustimmung in der Bevölkerung für den Dalai-Lama- Empfang im Kanzleramt kann sich Angela Merkel unverändert gewiss sein. Doch nicht nur bei den Sozialdemokraten, auch bei langjährigen Tibet-Unterstützern gibt es Skepsis, ob damit der unterdrückten Volksgruppe tatsächlich geholfen wurde. Einen "Fehler" sieht darin jedenfalls Antje Vollmer von den Grünen, die vor zehn Jahren zum Ärger Pekings die Verabschiedung einer Tibet-Resolution im Bundestag organisierte. "Die tatsächlich existierenden Möglichkeiten einer deutschen Bundeskanzlerin, auf die Chinesen Druck zu machen, die Rückkehr des Dalai Lama doch noch zu ermöglichen, sind dadurch gegen Null geschrumpft", ist die frühere Bundestagsvizepräsidentin überzeugt.


Joachim Schucht, dpa

Quelle: ntv.de

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