Dirk Niebel zum Mindestlohn "Kontakt zur Basis verloren"
27.03.2007, 17:24 UhrFür den Generalsekretär der FDP, Dirk Niebel, ist klar, dass ein Mindestlohn ein falsches Signal für den Arbeitsmarkt ist. Er befürchtet den Abbau von Arbeitsplätzen.
n-tv.de: In 20 von 27 EU-Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Was spricht eigentlich in Deutschland dagegen?
Dirk Niebel: Wir haben in Deutschland ein anderes Sozialsystem. Das Arbeitslosengeld II wirkt faktisch wie ein Mindestlohn. Eine Arbeitsaufnahme ohne erhebliche zusätzliche Mehreinnahmen wäre privat unökonomisch. Und mit der Höhe der Transferleistung, zum Beispiel bei einer großen Familie, sinkt das Interesse an einer Arbeitsaufnahme.
60 Prozent der Deutschen sind laut aktuellen Umfragen für einen Mindestlohn. Wie wollen Sie sich diesem Votum entziehen?
Wir müssen über Mindesteinkommen und nicht über Mindestlöhne diskutieren. Damit meine ich aber keinesfalls ein bedingungsloses und von der Arbeitsleistung unabhängiges Grundeinkommen, sondern ein bedarfsorientiertes Bürgergeld, ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss. Jeder, der arbeiten kann, soll auch zu seinem Lebensunterhalt selbst beitragen. Dafür müssen Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze realisiert werden, damit möglichst viele Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben können.
Sie sprechen im Falle von Mindestlöhnen von einem Verlassen der Tarifautonomie. Sonst sind Sie aber eigentlich weniger für Flächentarife. Widerspricht sich das nicht?
Lohnverhandlungen sind Sache der Tarifpartner, also der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Manchmal wird das leider auch zur Sache von Funktionären, die den Kontakt zur Basis und zur betrieblichen Realität verloren haben. Wenn der Gesetzgeber sich in die Vereinbarungen durch gesetzliche Regelungen einmischen darf, ist die Tarifautonomie gefährdet.
Wie wollen Sie den Menschen, die bei 40 Stunden in der Woche mit 500 Euro netto nach Hause gehen, eigentlich erklären, dass sie besser nicht auf staatliche Transferleistungen zurückgreifen sollen?
Die größten Chancen bieten sich nun mal, wenn man in den Arbeitsmarkt integriert ist. Am Arbeitsplatz kann man sich für Aufstiegschancen qualifizieren und in der Folge einen höheren Verdienst erreichen. Wenn die Einkünfte für den Lebensunterhalt nicht ausreichen, muss es eine staatliche Unterstützung geben.
Kommen Sie bei einer Friseurin aus Sachsen, die 3,05 Euro die Stunde verdient, nicht ins Grübeln?
Den Tarifvertrag haben doch die Tarifvertragspartner nach Bewertung der regionalen Gegebenheiten unterschrieben. Es gilt, den Menschen deutlich zu machen, dass ein Mindestlohn von 7,50 oder 8 Euro, wie ihn Gewerkschaften und Linke fordern, gerade diese Arbeitsplätze vernichtet. Es wäre natürlich wünschenswert, dass ein Vollzeitarbeitsplatz genügt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Wenn ein Arbeitsplatz aber teurer ist als seine Produktivität, wird er nicht mehr angeboten oder zumindest nicht in der legalen Wirtschaft. Die Haare werden weiterhin geschnitten, aber nicht im Friseursalon, sondern zu Hause und in Schwarzarbeit.
Sollten Ihrer Meinung nach die Transferleistungen weiter gekürzt werden?
Das Transfersystem muss neu organisiert werden. Derzeit werden etwa 153 steuerfinanzierte Transferleistungen von über 40 verschiedenen Behörden verwaltet. Wer Hilfe braucht, blickt oft nicht mehr durch - und wer durchblickt, ist eigentlich clever genug, ohne Hilfe zurecht zu kommen. Produktivitätsorientierte Löhne in Verbindung mit unserem Bürgergeldkonzept führen zu mehr legalen Arbeitsplätzen.
Hat die Geiz-ist-geil-Mentalität in Sachen Löhnen nicht auch eine erhebliche Wirkung auf die Qualität der Arbeit oder die Qualität der Produkte/Dienstleistungen?
Die Geiz-ist-geil-Mentalität hat natürlich Auswirkungen. Sie findet aber einen Grund in dem unanständigen staatlichen Abkassieren der Bürgerinnen und Bürger. Wer zu wenig Netto vom Brutto übrig hat, muss zwangsläufig mehr auf den Preis achten.
Mal allgemein zur Lohngerechtigkeit: Seit Jahrzehnten gelten zum Beispiel soziale Berufe (Arzthelferin, Krankenschwester) als chronisch unterbezahlt. Was muss sich da angesichts des gesellschaftlichen Wertes dieser Arbeit in dem Bereich ändern?
Personennahe Dienstleistungen werden in Zukunft immer wichtiger werden. In einer alternden Gesellschaft steigt hier die Nachfrage. Wenn man diese Tatsache nicht ausschließlich als Kostenfaktor, sondern als Chance für neue Beschäftigungsmöglichkeiten betrachten würde, wäre viel gewonnen.
Sie schlagen eine Bürgergeldkonzept bzw. ein "Mindesteinkommen" vor. Wie genau soll das aussehen und in wie weit unterscheidet es sich vom Kombilohn-Modell?
Beim bedarfsgerechten FDP-Bürgergeld werden steuerfinanzierte Transferleistungen mit dem Steuersystem zusammen geführt, es ist ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss. Das soll für tatsächlich Bedürftige gelten. Wir wollen nicht jemanden zu Lasten der Solidargemeinschaft subventionieren, der sich selbst helfen könnte. Nachher reicht das Geld dann für diejenigen nicht, die sich selbst nicht helfen können. Wir brauchen ein Anreizsystem und nicht eins, das Arbeit verhindert.
(Die Fragen stellte Jochen Müter)
Quelle: ntv.de