Dossier

+++ Breaking News +++ Kriegsberichterstattung

Im Nahen Osten tobt ein erbarmungsloser Krieg. Von Journalisten und Nachrichtenagenturen wird erwartet, dass sie schnell und sauber recherchiert über die Verhältnisse und das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen berichten. Täglich laufen dutzende Eilmeldungen über die Ticker. Doch woher kommen die Informationen? Wie viel Palästinenser starben wirklich beim Beschuss der von den Vereinten Nationen errichteten Schule in einem Flüchtlingslager? Wir waren nicht dabei, auch nicht die Korrespondenten der Agenturen. Wer zitiert welche Augenzeugen? Wir Journalisten sitzen in der Klemme und können nur berichten, was berichtet wird. Selbst dürfen wir schon lange nicht mehr in den Gazastreifen reisen. Sogar den israelischen Soldaten wurde ein "Maulkorb" verpasst. Ihre Berichte an Daheim hätten von den Palästinensern abgefangen und "dem Feind als Lagebericht dienen können", heißt es. Vor dieser Krux steht auch unser Nahost-Korrespondent Ulrich W. Sahm, der bereits seit vielen Jahren für n-tv und n-tv.de aus Israel berichtet. Im folgenden Beitrag schreibt Ulrich Sahm über die Mühen der Informationsbeschaffung und den Wahrheitsgehalt von Kriegsberichten.

"Oder in dessen Nähe"

Die Zahl der Toten bei einem israelischen Angriff auf die Al Fahoura Schule im Flüchtlingslager Dschabalija, oder "in dessen Nähe", liegt zwischen 3, 12, 30, 40 und 42. Als Quelle geben die Agenturen mal "Palästinenser" oder den Chef der Rettungsdienste in Gaza, Mo'aweya Hassanein, an. Der Sprecher der UNWRA Flüchtlingshilfe Organisation, Chris Gunness, verurteilte schon die israelische Attacke und sprach von 3 toten Zivilisten bei dem Angriff auf das "deutlich als UN-Einrichtung gekennzeichnete Gebäude". Einer anderen Agentur sagte er, dass er keine Ahnung habe, wie viele Tote es gegeben habe, da er seine eigenen Mitarbeiter nicht erreichen könne.

Ebenso widersprüchlich sind die Angaben der namentlich nicht genannten "Augenzeugen", ob eine israelische Panzergranate oder aber eine vom Kampfflugzeug abgeschossene Rakete die Schule getroffen habe, "in deren Nähe" die Zivilisten getötet worden seien. In der Schule hätten 400 Palästinenser Zuflucht gesucht, nachdem sie ihre Häuser aus Angst vor den israelischen Angriffen geräumt hätten. Angeblich parken israelische Panzer in drei Kilometern Entfernung von der Schule außerhalb des Flüchtlingslagers. Vom Gelände der Schule oder "aus ihrer Nähe", wiederum je nach Quelle, beschießen angeblich Hamaskämpfer die israelischen Panzer, woraufhin diese dann zurückgeschossen hätten.

Die Nachrichtenagenturen berichten inzwischen von mindestens drei Schulen im Gazastreifen, in Khan Younis, Gaza-Stadt und Dschabaliah. In jeder Schule hätten jeweils 400 Menschen Zuflucht gesucht, aber die Zahl der Opfer nach angeblichen israelischen Angriffen klaffen gemäß palästinensischen Angaben gewaltig auseinander, zwischen 3 Toten und 48.

"Möglicherweise"

Der israelische Militärsprecher hat nach einer "ersten noch unvollständigen" Untersuchung des Vorfalls bei einer Schule im Norden des Gazastreifens festgestellt, dass "angeblich" von der Schule aus israelische Truppen mit Mörsergranaten beschossen worden seien. Als israelische Panzer das Feuer erwiderten, sei die Schule "möglicherweise" getroffen worden. Weiter erklärte der Militärsprecher, dass die Hamas in "zynischer Weise" den Schutz ziviler Einrichtung nutze, um Israel zu beschießen. Im Oktober 2007 habe die Hamas vom Hof der gleichen Schule aus Raketen auf Israel abgefeuert. Das wurde von einer Drohne gefilmt und später veröffentlicht. Der UNO-Generalsekretär hatte daraufhin die Hamas verurteilt, die Schule als Raketenstellung missbraucht zu haben.

Erinnerungen an Kana

Die israelischen Medien berichten ausführlich über den Vorfall, ebenfalls ohne auf zuverlässige Informationen zurückgreifen zu können. "Es besteht die Gefahr, dass die Hamas hier ihr Kana-Massaker konstruiert. Die israelische Armee muss alles tun, um das zu verhindern", sagt Gal Berger, Radiokorrespondent für "palästinensische Angelegenheiten". Kana steht für zwei "Massaker" im gleichnamigen libanesischen Dorf. 1996, während der vom damaligen Ministerpräsidenten Schimon Peres befohlenen Operation "Früchte des Zorns" hatte die israelische Artillerie den Beschuss der Hisbollah erwidert. Die Hisbollah hatte ihre Stellung keine zehn Meter neben einem UNO-Hauptquartier eingerichtet. In dem UNO-Lager hatten viele Dorfbewohner Zuflucht gesucht. Ein winziger Fehler in der Zieleinrichtung führte zu etwa 300 Toten im Lager, anstatt wenige Meter davon entfernt die Hisbollahstellung zu treffen. Israel musste deswegen auf internationalen Druck seine Operation abbrechen. Im Sommer 2006 gab es eine Explosion auf oder neben einem Haus, in dessen Keller über hundert Menschen Schutz gesucht hatten. Bis heute ist unklar, was genau passierte. Aus dem angeblich eingestürzten Keller holten die Retter aufrechten Ganges einen Toten nach dem anderen heraus und hielten sie in die Kameras. Die Agenturen überschlugen sich förmlich mit den Totenzahlen, 60, 70, 80. Obgleich die wahre Totenzahl von 28 schon am ersten Tag bekannt war, lenkten die Agenturen erst eine Woche später ein, nachdem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine eigene Untersuchung gemacht und die Namensliste der 28 Toten veröffentlicht hatte. So wurde Kana zu einem Symbolname in Nahost und zu einem bewährten Mittel der Hisbollah und jetzt vielleicht der Hamas, Israel eine moralische wie politische Niederlage beizufügen.

Die Schutzschilde der Hamas

Derweil berichtete die Militärkorrespondentin Carmela Menasche von einigen kleineren Zwischenfällen, die zu dem Dilemma der israelischen Soldaten betrügen. In einer Schule entdeckten sie eine versteckte Bombe in einem Klavier. Ein Palästinenser, als israelischer Soldat verkleidet, näherte sich in verdächtiger Weise einer Gruppe Soldaten. Als sie auf ihn schossen, explodierte der Mann mit der Jacke eines Selbstmordattentäters. Weiter berichtete sie von Hamaskämpfern, die Kinder vor sich hielten, um sich zu schützen und andere, die sich hinter Ambulanzen gehockt hätten, um von den Israelis nicht beschossen zu werden.

Quelle: ntv.de

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