Chaos in Simbabwe Leben auf dem Pulverfass
03.04.2007, 14:33 UhrSimbabwe steht vor einer Zerreißprobe: Machthaber Robert Mugabe hat das Land in den letzten zwei Jahrzehnten an den sozialen und wirtschaftlichen Abgrund geführt. Im Gespräch mit n-tv.de erläutert Beatrice Schlee von der Konrad-Adenauer-Stiftung die Hintergründe über den zerfallenden Staat.
n-tv.de: Frau Schlee, die Welt blickt ratlos nach Simbabwe, muss die Unterdrückung der Opposition dort recht hilflos mit ansehen. Die Nachrichtenlage ist unklar. Sie kommen gerade von dort – können Sie die Situation kurz skizzieren?
Dr. Beatrice Schlee: Die Lage vor Ort hat sich zugespitzt: Gerüchte, ein Palastcoup stehe bevor, haben sich in den letzten Wochen gehäuft. Der Unmut über das Regime wird immer offener auch von einfachen Leuten auf der Straße und in Geschäften geäußert. Das ist außergewöhnlich, denn lange Zeit hat die Mehrheit der Simbabwer aus Furcht vor Repression geschwiegen, trotz einer sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Situation. Die Hyperinflation liegt bei über 2000 Prozent, zum Jahresende werden 5000 Prozent erwartet. Vor diesem Hintergrund sind mit Spannung die Treffen von Politbüro und Zentralkomitee erwartet worden, in denen darüber entschieden wurde, ob Mugabe entgegen früheren Ankündigungen erneut als Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden sollte. Und tatsächlich, was vor einigen Wochen viele nicht für möglich gehalten hätten, ist eingetreten. Der 83-jährige Präsident Robert Mugabe, der das Land seit 27 Jahren regiert, kandidiert erneut. Damit nimmt er allen Nachfolgediskussionen, die seit mehreren Jahren geführt werden, den Wind aus den Segeln. Mugabe wäre am Ende seiner Amtszeit 89 Jahre.
Vor diesem Hintergrund ist mit Spannung der SADC-Gipfel in Tansania vom letzten Donnerstag erwartet worden. Umso größer war die Enttäuschung, dass die massiven Menschenrechtsverletzungen an Aktivisten der Opposition und Zivilgesellschaft nicht thematisiert wurden. Noch am Tag zuvor waren 60 Aktivisten verhaftet und einer "Orgie an Gewalt" angeklagt worden. Immerhin hat SADC den Fall Simbabwe debattiert und einen Mediator zwischen Regierung und Opposition ernannt. Ob der südafrikanische Präsident Mbeki Glück mit dieser Mission haben wird, darf bezweifelt werden. In den letzten Jahren war seine "stille Diplomatie" nicht von Erfolg gekrönt.
Was für ein Regime hat Mugabe aufgebaut? Wie funktioniert es? Und warum klebt er derart an der Macht?
Im gegenwärtigen Regime sind Klientelismus und Vetternwirtschaft weit verbreitet. Teile des inneren Kreises der Regierung profitieren von der wirtschaftlichen Lage: Gerüchten zufolge sollen verschiedene Minister in den Schwarzmarkthandel von Benzin, Zucker, Gold und Diamanten involviert sein. Die offizielle Umtauschrate zum US-Dollar wird niedrig gehalten. Mugabe an der Spitze verteilt Farmen, Ämter und Minenlizenzen. Nicht von ungefähr wurde letzten Freitag auch eine Aufstockung des Parlaments von 150 auf 210 Mitglieder empfohlen, womit zusätzliche Ämter geschaffen werden. Kritiker weisen darauf hin, dass aus genau diesem Grund im Jahr 2005 ein Senat geschaffen worden. In der Vergangenheit nominierte Mugabe 30 der 120 Abgeordneten – hiermit ist es erheblich leichter eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten und Verfassungsänderungen vorzunehmen.
Weshalb es ihm so schwer fällt zu gehen? Zum einen ist Mugabe dafür bekannt, kaum jemandem zu trauen, weshalb er auch die Nachfolgefrage nie wirklich entschieden hat. Er selbst porträtiert sich seit zwei Jahren verstärkt als "Retter der Nation", der das Auseinanderbrechen der Partei und ihrer rivalisierenden Blöcke – mindestens drei Fraktionen und fünf potentielle Nachfolgekandidaten - verhindern kann. Zum anderen wird gesagt, er habe aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen, die in seiner Regierungszeit vorgenommen worden sind, Angst, vor den internationalen Strafgerichtshof zu kommen.
Wie steht das Land nach 25 Jahren Mugabe da?
Es könnte dem Land kaum schlechter gehen: Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit von über 80 Prozent, ebenso viele Menschen leben unter der Armutsgrenze. Selbst Assistenzärzte verdienten Anfang des Jahres nur ca. zehn US-Dollar. Farmarbeiter bekommen von einigen Ministern, die Farmen geschenkt bekommen haben, umgerechnet 0,5 US-Dollar im Monat ausgezahlt. Die Lebenserwartung im einstigen Vorzeigeland ist auf 37 Jahren bei Männern und 34 Jahren bei Frauen gefallen. Immer mehr Menschen sterben aufgrund schlechter medizinischer Versorgung und Unterernährung an HIV/Aids und an Krankheiten, die im bis vor wenigen Jahren noch funktionierenden Gesundheitssystem kein Problem dargestellt hätten. Die Schulbildung, die einst den Neid der Nachbarländer auf sich zog, hat im staatlichen Bereich rapide nachgelassen. Dabei ist es keine Seltenheit, dass Schulgebühren von einem Monat auf den anderen um 1000 Prozent steigen, so dass Lehrer auf einmal nur noch fünf statt 40 Schüler in einer Klasse haben.
Anfang des Jahres kam es zu massiven Erhöhungen der Transportkosten, was dazu geführt hat, dass der Lohn eines Arbeiters nicht mehr dazu ausreicht, mit öffentlichen Transportmitteln zur Arbeit zu kommen. Mehr als drei Millionen Simbabwer haben das Land in Richtung Südafrika, Botswana, Sambia, Mosambik und Großbritannien verlassen. Dies hat zu nachlassender Arbeitsleistung und Qualität in allen Arbeitsbereichen geführt. In politischer Hinsicht hat die zunehmende Verarmung und Hyperinflation paradoxerweise dazu geführt, dass die Bevölkerung alle Kräfte in den täglichen Überlebenskampf, die Sorge um Schulgebühren und ständig steigende Arztkosten gesteckt hat und nicht auf die Straße gegangen ist. Es scheint aber, dass seit Beginn dieses Jahres, das einen selbst in Simbabwe noch nie da gewesenen rapiden Anstieg der Preise innerhalb weniger Tage gesehen hat, das Maß voll ist: Für den einfachen Arbeiter, dessen Einkommen kaum mehr zum Überleben reicht, gibt es immer weniger zu verlieren. Verzweiflung besiegt dann die Furcht. Die Streiks von Ärzten und Lehrern zu Beginn des Jahres sprechen eine deutliche Sprache: Weil die Regierung einen Umsturz fürchtet, schlägt sie mit aller Macht zurück.
Simbabwes Nachbarländer unterstützen Mugabe bei seinem "Widerstand gegen den Westen". Was steckt konkret dahinter? Entlädt sich dort auch andere Missstimmung gegen die "Erste Welt"?
Erfreulich ist, dass die Unterstützung nachzulassen scheint. Öffentliche Verlautbarungen aus Sambia, Tansania und Angola sprechen erstmals eine andere Sprache. Ebenso ist bekannt, dass hinter den Kulissen der Unmut über die Regierung Mugabe groß ist, da sie zu simbabwischen Wirtschaftsflüchtlingen in der Region geführt hat und die Wirtschaftskontakte in den Westen erschwert. Dennoch ist wahr, dass Parolen wie "Land weg von weißen Farmern" in der Region Zustimmung finden. Dies liegt oft am chronischen Informationsdefizit. Seitdem mehr und mehr bekannt wird, dass das Land nicht an die einfache schwarze Bevölkerung, sondern vor allem an einen Kreis von Günstlingen um Mugabe ging, werden diese Stimmen leiser.
Themen wie Imperialismus und Kolonialismus spielen in der Rhetorik Mugabes eine herausragende Rolle – so stand neulich in der Regierungszeitung, dass der Westen eine weiße Minderheitsregierung einsetzen wolle. Dass er mit dieser Rhetorik Befürworter gewinnen kann, zeigt, dass die Geschichte des Kolonialismus immer noch Wunden hinterlassen hat, die politisch leicht instrumentalisiert werden können. In die Hände Mugabes spielen Verhaltensweisen westlicher Regierungen, die auch von westlichen Beobachtern als Doppelmoral klassifiziert werden und von der Propaganda autoritärer Regime dementsprechend ausgeschlachtet werden.
Selbst Südafrika hat sich bislang wenig bewegt, setzt auf gute Worte, um Mugabe zu bändigen. Was könnte der südafrikanische Präsident tun, wenn er denn wollte?
Die SADC hat Präsident Mbeki ja zum "Broker" der simbabwischen Krise ernannt. Ob er hier jedoch viel erfolgreicher sein wird als in der Vergangenheit, ist fraglich. Wenn Südafrika politischen wie wirtschaftlichen Druck auf Simbabwe ausüben würde, hätte dies Auswirkungen.
Es ist von einer drohenden Hungerskatastrophe die Rede. Wie konkret ist diese Gefahr? Und kann das Land, wie Mugabe es zusagt, diese Situation aus eigener Kraft bewältigen?
Die Gefahr ist real, auch wenn sie nicht die gesamte Bevölkerung betreffen wird. Die Ernte wird wegen Misswirtschaft, unzureichenden Vorkommen an Saatgut, Dünger, Benzin, etc. wie auch wegen ausbleibenden Regens vor allem im Süden des Landes sehr spärlich ausfallen. Hinzu kommt, dass auch die Nachbarländer im Unterschied zu den vergangenen Jahren kaum einen Überschuss produzieren werden, den sie an Simbabwe abgeben könnten. Auf dem Weltmarkt steigen die Preise für Mais, weshalb er für die Regierung kaum erschwinglich sein wird. Deshalb laufen auch Anfragen an große Geberorganisationen. Man muss sich jedoch darauf einrichten, dass wie bereits in der Vergangenheit mehrfach geschehen, die Regierung mit den Gebern Katz und Maus spielen wird, bis sie endlich die Verteilung von Nahrungsmitteln zulassen wird. Dass sie hierzu bereit sein wird, muss auch vor dem Hintergrund der anstehenden Präsidentschafts-, Parlaments-und Gemeinderatswahlen 2008 gesehen werden: Nahrungsmittel wurden in der Vergangenheit als Druckmittel eingesetzt, und wenn möglich nur an Anhänger der Regierungspartei verteilt. Angesichts der zunehmenden Verelendung steht zu erwarten, dass auch 2008 Wählerstimmen gegen Maismehl eingetauscht werden.
Simbabwes Oppositionsbewegung, die MDC, wird massiv, großteils mit Gewalt, unterdrückt. Wie stark schätzen Sie die Bewegung ein? Und über welchen Rückhalt verfügt ihr Kopf, Morgan Tsvangirai?
Die MDC hat nach ihrem raketenartigen Aufstieg Anfang 2000 eine schwierige Phase hinter sich. Die Wahlniederlagen von 2000, 2002 und 2005, wenn auch zahlreichen Kritikern zufolge durch Wahlbetrug verursacht, haben zahlreiche Funktionäre und Anhänger in eine Phase der Orientierungslosigkeit stürzen lassen. Die vor drei Wochen erfahrene brutale Repression hat viele überrascht und führt die Furcht der Regierung, die Macht zu verlieren, vor Augen. War der MDC lange vorgeworfen worden, sie tue nichts, um einen Ausweg aus der wirtschaftlichen und politischen Krise zu finden, so ist sie jetzt wie ein "Phönix aus der Asche" aus den jüngsten politischen Entwicklungen hervorgestiegen. Erfahrungen von massiver Gewaltanwendung, willkürlichen Verhaftungen und das zeitweilige Verschwinden von Aktivisten in der Maschinerie der Staatsgewalt führen meist zu größerem Zusammenhalt. Der Präsident der Partei, Morgan Tsvangirai, dem noch vor kurzem Führungsschwäche nachgesagt wurde, hat sich in den jüngsten Entwicklungen erneut Ansehen und Respekt erworben. Er wie auch andere politische Führer haben in lebensbedrohlichen Situationen mehr Rückgrat bewiesen, als sie in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Die Regierung hat letztlich durch ihr Vorgehen die Opposition wider erstarken lassen.
Tsvangirai hat angekündigt, zu den anstehenden Wahlen nicht anzutreten, sofern Mugabe kandidiert und es keine neue Verfassung gibt. Ist das die richtige Strategie?
Oppositionspolitiker befürchten, dass Wahlen ohne geänderte Verfassung keine faire Chance bieten würden. Fraglich ist, ob die Oppositionspolitiker an dieser Strategie festhalten. Viele von ihnen sind auf das Einkommen als Parlamentarier angewiesen. Wie bereits bei den Senatswahlen dürfte es bei der Durchsetzung dieser Entscheidung noch einige Konflikte geben.
Gibt es überhaupt eine Chance auf faire Wahlen in Simbabwe oder ist das Ergebnis nicht ein Hohn?
Befürchtet wird, dass es keine freien Wahlen geben könne, solange die Besetzung der Wahlkommission weitestgehend in den Händen der Regierung liege, solange traditionelle Führer korrumpiert werden, um als Stimmenfänger der Regierungspartei aufzutreten, solange Nahrungsmittel als Mittel zum Zweck eingesetzt und Gewalt und Hetzparolen gegen die Opposition an der Tagesordnung seien. Freie Wahlen würden die Aufhebung von Gesetzen zur Einschränkung der Medien- und Versammlungsfreiheit erfordern, sowie die Zulassung von internationalen Beobachtern.
Sie sind lange verbunden mit Simbabwe. Was empfinden Sie angesichts der Situation?
Wut, Ärger und Betroffenheit. Vor Ort zu sein, wenn in unmittelbarer Nähe geschlagen und gefoltert wird und zwei Aktivisten im Zuge eines geplanten gemeinsamen Gebets aller demokratischen Kräfte vor drei Wochen sterben, ist nicht leicht. Die Ereignisse der letzten Wochen sind schockierend: Menschen werden grundlos verhaftet, nachts aus ihren Häusern gezerrt, nächtelang von speziellen Einsatztrupps zusammengeschlagen. Die Leute trauen sich in den dicht besiedelten Wohngegenden nach Dunkelheit nicht mehr auf die Straße. Polizei- und Sicherheitskräfte verprügeln willkürlich Passanten und Barbesucher. Anhänger der Oppositionspartei werden am helllichten Tag entführt und von Sicherheitskräften außerhalb der Stadt brutal zusammen geschlagen, auf der Stirn gebrandmarkt und halbnackt zurückgelassen. Anweisungen vom Gericht, den Opfern medizinische Versorgung zukommen zu lassen, werden nicht befolgt. Die Regierung schreibt die Gewalt Befürwortern der Opposition zu, von "Orgien der Gewalt" ist die Rede. Vermutet wird jedoch, dass der Anschlag auf einen Zug, den Mugabe auch auf dem SADC-Gipfel zur Sprache brachte, nicht auf das Konto von Oppositionellen geht. Die Wut der Bevölkerung entlädt sich viel mehr vereinzelt gegen Polizisten, deren brutale Vorgehensweise in den letzten Wochen, wie die Zerstörung weiter Teile der Townships im Sommer 2005, nicht vergessen ist. In der so genannten Säuberungsaktion verloren mindestens 700.000 Menschen ihre Unterkunft und all ihr Einkommen.
Die Regierung, benachbarte Länder und die internationale Gemeinschaft haben in der Vergangenheit die zahlreichen Chancen einer friedlichen Konfliktlösung vorbeigehen lassen. Simbabwe ist ein Pulverfass mit ungewissem Ausgang.
(Die Fragen stellte Jochen Müter.)
Quelle: ntv.de