Berlin ist unsexy Lehrer wandern ab
01.02.2009, 13:38 UhrVielleicht gibt es sie bald, die Headhunter für Mathelehrer oder Musikpädagogen. Denn zur Zeit werben sich immer mehr Bundesländer mit Methoden aus der freien Wirtschaft gegenseitig ihre Lehrer ab. Sie bieten Geld und Sicherheit. Schnelle Beförderung, kleine Klassen oder weniger Wochenstunden sind nicht unmöglich. Was für den öffentlichen Dienst bizarr klingt, ist mit der Föderalismusreform Wirklichkeit geworden. Seit die Länder über die Lehrerbesoldung entscheiden, ziehen die wohlhabenden unter ihnen alle Register - zu ihren Gunsten. Die Lehrergewerkschaft GEW nennt das absurd und unverantwortlich. Aus der Hauptstadt, der die Lehrer scharenweise davonlaufen, kommt nun ein Hilferuf: Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) fordert Absprachen über Lehrergehälter.
In Berlin wird sich die Misere mal wieder nach dem Halbjahrzeugnissen zeigen. Mehr als 150 offene Lehrerstellen gibt es. Doch wer will sie haben? "Irgendwann kommt der Punkt im Leben, an dem man aus einer Zwei-Zimmer-Wohnung heraus möchte", sagt Etta Willuweit, seit drei Jahren Lehrerin in der Hauptstadt. Sie würde auch gern bleiben. Doch mit einem Gehalt von rund 1753 Euro netto könne sie sich ihre Wünsche nicht erfüllen, sagt die 30-Jährige. Sie hat Alternativen. Andere Länder bieten jungen Lehrern nach Schätzungen der Berliner Bildungsverwaltung bis zu 800 Euro mehr. Möglich wird das durch Orts- und Familienzuschläge bei der Verbeamtung. "Wir spüren den wachsenden Konkurrenzdruck", sagt Zöllners Sprecher Jens Stiller. "Als Gegenmittel gibt es wohl nur Anreize über Geld." Berlin hat kein Geld. Das macht unsexy.
Bundesländer streiten sich
Die Hauptstadt steht mit ihrem Problem nicht allein da. Mindestens fünf weitere Bundesländer halten die Rückkehr zu einheitlichen Regelungen, wie sie es vor der Föderalismusreform über Besoldungsverordnungen gab, für eine gute Idee. Neben Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt im Osten sind es im Westen auch Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Sibyllinisch gibt sich NRW, das sich für einen fairen Wettbewerb ausspricht - aber gegen "aggressive Abwerbung". Aus Niedersachsen heißt es nur: "Wir wildern nicht."
Entschieden gegen Absprachen der Länder ist jedoch neben Hessen auch Thüringen. Dort gibt es mit Ostgehältern ohne Verbeamtung noch einen Lehrerüberschuss und damit kein Problem - noch nicht. Baden-Württemberg begründet seine Zurückhaltung mit fehlenden "konkreten Konzepten" für Länder-Absprachen. Das klingt trickreich. Denn die Schwaben gehören zu den aggressivsten Lehrer-Werbern der Republik: Sie haben ihre "Kriegskasse" 2009 mit 37.000 Euro gefüllt. Nachbar Hessen ist daran gewiss nicht unschuldig. Hessen warb 2008 mit einem Etat von mehr als 200.000 Euro um Lehrer jenseits seiner Grenzen. Die als Casting für "Hauptrollen" in Physik oder Chemie heiter verkaufte Aktion lockte nach Medienberichten mit Verbeamtungen bis zum 50. Lebensjahr. In anderen Ländern ist bei 35 Jahren Schluss.
Marktwirtschaft an den Schulen
Die Gesetze der Marktwirtschaft mögen bei der Winterkollektion funktionieren - an staatlichen Schulen aber dürfte das auf Dauer schwierig werden. Abgeworbene Lehrer fehlen in den Ländern, die sie auf eigene Kosten ausbildeten. Lehrer fehlen ihren Kollegien - und vor allem ihren Schülern, die in der "Bildungsrepublik Deutschland" schon so manchen Nachteil des Föderalismus ausbaden. Ein Umzug in ein anderes Bundesland mit unterschiedlicher Schulstruktur und völlig neuen Schulbüchern kann locker ein Schuljahr kosten.
Die neue Enge auf dem "Lehrermarkt" fiel nicht vom Himmel. Dass viele Kollegien überaltert sind und eine Pensionierungswelle ansteht, ist bekannt. An den Unis gibt es dennoch weniger Nachwuchs. Noch vor wenigen Jahren fuhren Lehrer Taxi, weil sie niemand einstellte. Warum also auf Lehramt studieren? Die gute Lage für junge Pädagogen lässt die Lehrergewerkschaft GEW dennoch nicht jubilieren. "Der Wettbewerb ist nur für finanzstarke Bundesländer gut", sagt die GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer. "Da führt sich der Föderalismus ad absurdum." Die einheitliche Lehrerversorgung in Deutschland gerate in Gefahr, wenn die Preise weiter in die Höhe getrieben würden.
Das Mitleid mit der Hauptstadt ist bei Demmer allerdings begrenzt. Die Gehaltskürzungen für Berliner Lehrer seien ein klassisches Eigentor, ergänzt Demmer. "Das ist die Quittung für kurzsichtige Überlegungen zur Haushaltssanierung". Um die Auswüchse des Bildungs-Föderalismus zu beenden, spricht sich aber auch die Gewerkschaft für bundeseinheitliche Lösungen aus. Bleibt nur die Frage, ob Berlin bei Länder-Absprachen über Lehrergehälter weit über 1753 Euro netto überhaupt mithalten könnte.
Ulrike von Leszczynski, dpa
Quelle: ntv.de