Dossier

"Schlechteste Regierung" Leterme enttäuscht die Belgier

Yves Leterme hinterlässt wenig Spuren in Belgien. Der 48 Jahre alte Premierminister, der müde ist und nicht mehr regieren will, hat seine Landsleute enttäuscht. Sein Fall ist ebenso tief wie spektakulär. Noch vor eineinhalb Jahren war der flämische Christdemokrat Sieger der Parlamentswahlen. Vor neun Monaten wurde der frühere Europabeamte Regierungschef. Der farblose Jurist stehe "der schlechtesten Regierung der Nachkriegszeit" vor, befand jetzt die niederländischsprachige Zeitung "De Morgen". Nun wird ein Nachfolger gesucht.

Wegen der Affäre um die Großbank Fortis bot die Mannschaft von Leterme kollektiv ihren Abschied an. König Albert II. nahm den Rücktritt aber zunächst nicht an. Leterme soll im Rechtsstreit um den Verkauf der teilverstaatlichten Bank die Justiz beeinflusst haben. Der Regierungschef bestreitet jedoch die Vorwürfe. Der Skandal droht sich zu einer Staatsaffäre auszuweiten. In Belgien spricht man inzwischen von "Fortisgate" - in Anlehnung an den Watergate-Skandal in den USA, der 1974 zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon führte.

Politische Beobachter hatten den Sturz geahnt. Zwar spricht der Flame Leterme dank seines Vaters, der aus der Wallonie stammt, perfekt Französisch. Doch zum Zusammenhalt des von Sprachstreitigkeiten zerrissenen Königreichs hat er wenig beigetragen. Für die Menschen im südlichen Landesteil galt er als Sachwalter flämischer Regionalinteressen.

Einen und nicht spalten

Vor seinem Amtsantritt verwechselte Leterme einmal am Nationalfeiertag (21. Juli) die französische Nationalhymne La Marseillaise mit der seines Heimatlandes, der Brabanonne. Nie trat er aus dem Schatten seines charismatischen Amtsvorgängers Guy Verhofstadt heraus, der über die Landesgrenzen hinaus als überzeugter Europäer gilt.

Gleich viermal reichte Leterme seit vergangenem Jahr im Brüsseler Königspalast seinen Rücktritt ein - zweimal als designierter Regierungschef, zweimal als Premierminister. Es wird deshalb nicht damit gerechnet, dass Albert II. den glücklosen Politiker, der auch seinen Koalitionspartnern zunehmend zur Last wurde, im Amt belässt.

Als einer der Joker in der Hand des Königs gilt Verhofstadt, der aus Gent stammende Liberale. Gute Chancen werden auch dem bulligen Jean-Luc Dehaene eingeräumt, der noch mit Helmut Kohl bei EU-Gipfeln an einem Tisch saß. Der Christdemokrat ist im Land als "der Minenräumer" bekannt. Er hat beste Beziehungen - insbesondere zum Königspalast.

Belgien braucht eine Persönlichkeit an der Spitze, die eint und nicht spaltet, meinen politische Experten. Das kleine Land leidet unter der weltweiten Wirtschaftskrise. In der Auseinandersetzung um eine Staatsreform driften der reiche flämische Landesteil im Norden und die Wallonie im Süden zunehmend auseinander.

Quelle: ntv.de, Christian Böhmer, dpa

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