Brücke zwischen Disziplinen Lindau versöhnt
02.07.2007, 14:07 UhrFreier Wille oder Diktatur der Gene? Für den Tübinger Philosophie-Professor Otfried Höffe hat der Nobelpreis diese Frage längst entschieden. Nach Erhalt des Preises seien Naturwissenschaftler schließlich stolz auf ihre Arbeit und ihre Experimente - und nicht auf ihr Erbgut, sagt Höffe in Lindau. Das Argument passt zu Ort und Anlass: In dem Bodensee-Städtchen treffen sich bis Freitag 17 Nobelpreisträger der Medizin und Chemie. Waren die Naturforscher in den 56 Jahren zuvor stets unter sich geblieben, so erhielten sie im deutschen "Jahr der Geisteswissenschaften" Besuch: Philosoph Höffe schlug eine Brücke zwischen den Disziplinen.
Der Schweizer Medizin-Nobelpreisträger Werner Arber (78) wusste zwar bis zur Tagung nichts vom deutschen Mottojahr. Doch die Diskussion mit dem Philosophen ist für ihn ein richtiger Schritt. Die Arbeit als Genetiker berühre zwangsläufig Aspekte der Theologie oder Ethik. "Da bin ich ein Amateur, aber ich kann von den Kollegen die Prinzipien lernen", sagt der Preisträger von 1978. Umgekehrt fordert Höffe (63) von Angehörigen seines Fachs Grundwissen in Medizin, Biologie oder Physik. "Sonst reden wir als Geisteswissenschaftler ins Leere oder Unsinn", warnt er.
Den leidenschaftlichen Streit um den Begriff des freien Willens halten er und Arber dagegen für müßig. Höffe spottet über die Wortklauberei: "Wir sprechen auch mit guten Gründen vom freien Fall." Zum Leitspruch des Jahres der Geisteswissenschaften - "ABC der Menschheit" - bemerkt er, Biologen buchstabierten das ABC des Lebens ebenso wie Philosophen, "nur auf unterschiedliche Weise". Arber warnt beide Seiten vor Konfrontation: "Wir sollten lieber Gemeinsamkeiten suchen."
Diese neue Lindauer Harmonie pflegen am Bodensee auch andere: Der Präsident des Europäisches Forschungsrates, Biologe Fotis Kafatos, schwärmt bei der Eröffnung: "Wir sind alle Entdecker von Wahrheit und Schönheit." Fragen seien Antrieb jedes Forschers.
Der Vorsitzende des Deutschen Wissenschaftsrates, Mittelalter- Philologe Peter Strohschneider, bescheinigt den Naturforschern eine oft nicht eingestandene Nähe zu den Geisteswissenschaften. "Im Gegensatz zur Natur selbst sind die Naturwissenschaften ein Produkt der Kultur", sagt er. Die Kluft zwischen Natur und Naturwissenschaft sei weit größer als jene zwischen Geistes- und Naturforschern. Den Einwand eines Astronomen, die Arbeiten etwa eines Historikers sei Laien näher als die seiner Zunft, mag man nicht gelten lassen. Höffe sagt: "Auch Kulturwissenschaftler können so sprechen, dass es der normale Bürger nicht versteht."
Höffe und Arber plädieren vor dem Dialog mit der Öffentlichkeit aber für mehr Kontakte untereinander. Dazu gehörten Vorlesungen in Biologie oder Physik für Studenten der Geisteswissenschaft und umgekehrt. "Wer kreativ ist, der weiß, dass er bei anderen etwas holen kann", sagt Arber. Höffe warnt die Universitäten vor einem Trend zum Schmalspurstudium. Er selbst kann den Austausch auch in der Familie pflegen: Die drei Kinder des Philosophen sind Biologe, Arzt und Physiker geworden.
Frank van Bebber, dpa
Quelle: ntv.de