Dossier

Interview "Lobbyisten regieren mit"

Lobbyisten haben einen schlechten Ruf; man denkt an den Ausverkauf öffentlicher Interessen, an Waffenschieber und Korruption. Doch die einflussreichsten Lobby-Organisationen sind keine finsteren Geheimbünde, sondern seit Jahrzehnten Teil des politischen Betriebs der Bundesrepublik Deutschland. - Fragen an den Politikwissenschaftler Rudolf Speth.

n-tv.de: Beim Bundestag sind derzeit mehr als 2.000 Lobby-Organisationen registriert, von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bis zum Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände. Welche Rolle spielen diese Gruppen im politischen Alltag?

Rudolf Speth: Die Lobbyliste des Bundestags erfasst alle Organisationen, die zu Anhörungen eingeladen werden können. Im politischen Alltag spielen sie eine sehr unterschiedliche Rolle. Unter den 2.000 Organisationen sind kleine Verbände, die einfach nur präsent sein wollen, aber auch die großen Wirtschaftsverbände, die eine ganz andere Power haben.

Wie setzen die großen Verbände diese Power ein?

Deutschland ist geprägt von einer Tradition des Korporatismus. Seit Ende der sechziger Jahre bis in die neunziger Jahre waren die großen Verbände mehr oder weniger an der Formulierung der Politik beteiligt. Dieser Korporatismus löst sich allmählich auf.

Das heißt aber nicht, dass der Einfluss der Lobbyisten zurückgeht?

Nein, nein, aber das Feld wird bunter, es gibt deutlich mehr Akteure. Im europäischen Vergleich ist Deutschland aber immer noch ein Land mit sehr starken Wirtschaftsverbänden. Vergleichbares gibt es in England oder Frankreich nicht.

Welcher Lobbyverband gilt hierzulande denn als besonders einflussreich?

Das sind traditionell die großen Verbände, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Gesamtmetall, der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und andere große Branchenverbände.

Wie steht es mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von Gesamtmetall gegründet wurde?

Die INSM würde ich eher als Instrument oder auch Experiment ansehen. Mit ihr wird ein neuer Weg beschritten. Die traditionellen Verbände haben ganz unterschiedliche Funktionen: Sie müssen Dienstleistungen für ihre Mitglieder bereitstellen und zugleich die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Der gesellschaftspolitischen Orientierungsfunktion kommen sie immer schlechter nach: Sie gelten als langsam, ihre Kommunikation reagiert nicht schnell und nicht professionell genug auf das, was sich in der Politik tut. Da kommt die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ins Spiel. Sie macht mit professionellen Instrumenten Werbung für eine Neuinterpretation von sozialer Marktwirtschaft.

Wie erfolgreich ist die INSM damit?

PR-Erfolge sind schwer zu messen, ich habe aber den Eindruck, dass die INSM sehr erfolgreich ist. Nicht nur, weil sie ihr Konzept einer sozialen Marktwirtschaft erfolgreich in die Debatte eingebracht hat. Sie ist auch insofern erfolgreich, als sie die neuen Kommunikationsmittel in den politischen Diskurs eingeführt hat. Die Initiative hat die Messlatte höher gelegt. Wer heute politische Kommunikation macht, muss eine Kampagne organisieren, muss Testimonials aufbieten.

Wie beurteilen Sie die Lobbyarbeit der deutschen Autobauer in der Debatte um CO2-Emissionen? Auf die Politik hat die Automobilindustrie vermutlich einen sehr starken Einfluss, in der Öffentlichkeit wirkt sie aber recht defensiv. Offenbar deshalb musste jetzt sogar VDA-Chef Bernd Gottschalk seinen Hut nehmen.

Die Automobilindustrie ist der Kernbereich der deutschen Industrie. Da werden die höchsten Löhne gezahlt, die Konzerne agieren auf dem Weltmarkt. Politisch ist die Branche daher sehr einflussreich. Die Automobilhersteller hatten immer einen direkten Draht ins Kanzleramt. Ich erinnere daran, wie Bundeskanzler Schröder bei der Altautoverordnung Umweltminister Trittin zurückgepfiffen hat. Wenn es gegen die Interessen der Automobilindustrie geht, legt der Kanzler oder die Kanzlerin meist ein Veto ein. Auf diesen Einfluss hat sich die Branche zu sehr verlassen: Heute reicht es nicht mehr, die Politik auf seiner Seite zu haben, man muss auch die Öffentlichkeit überzeugen. Auf diesem Feld sind die Automobilhersteller relativ schwach.

Wo liegt die Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption? Zwischen Verbänden und ihren Testimonials fließt doch vermutlich auch Geld.

Nein, in der Regel nicht. Die Testimonials verkünden keine Botschaft, hinter der sie nicht auch stehen. Ich würde das eher als Gegengeschäft bezeichnen. Wenn etwa die INSM ihren Testimonials Auftritte vermittelt, dann werben diese dort zwar für die Ideen der INSM, haben aber gleichzeitig auch einen Auftritt für ihre eigene Person.

Besteht nicht doch die Gefahr zu großer Abhängigkeit?

Natürlich entstehen Abhängigkeiten. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass dort mit Mitteln der Korruption gearbeitet wird. Ein Fraktionsreferent oder ein Abgeordneter, der bestimmte Informationen eines Verbandes hat und damit arbeiten kann, gewinnt unter Umständen in der Fraktionshierarchie an Ansehen. Er streicht seine "Prämie" nicht in Form von Geld ein, sondern als Reputationsgewinn.

Im September 2006 kam heraus, dass die Unionsfraktion bei der Ausarbeitung eines Antrags zum Nichtraucherschutz exakt den Vorschlägen des Verbandes der Cigarettenindustrie (VDC) gefolgt war. Für wen ist das PR-Desaster in einem solchen Fall größer: für die Politik oder für den Lobbyverband?

So etwas schadet vor allem der Politik. Politiker nehmen für sich in Anspruch, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Wenn dann rauskommt, dass Politiker sich Argumentationspapiere von anderen schreiben lassen, ist das zweifellos ein Imageschaden.

Aber zeigt das Beispiel des VDC nicht auch, dass es beim Lobbyismus ausschließlich ums Geld geht?

Heute betreiben alle Interessengruppen Lobbying. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, das man fürs Lobbying nach wie vor Ressourcen braucht, sprich: Geld, Know-how, Personal und Netzwerke. Da sind die Produzenteninteressen naturgemäß dominant, weil Wirtschaftsverbände über ihre Mitgliedsbeiträge mehr Geld zur Verfügung haben. Umwelt oder Verbraucherinteressen sind ressourcenschwächer und schwieriger zu organisieren. Insofern gibt es weiterhin ein Ungleichgewicht zwischen den starken und schwachen Interessen.

Die Opposition wirft der Regierung gern vor, sie sei vor einer Lobby "eingeknickt" - vor der Autolobby, der Kohlelobby, der Pharmalobby oder der Atomlobby.

Dieser Vorwurf geht von einer vereinfachten Weltsicht aus. Eine strikte Trennung zwischen Regierung und Interessengruppen hat es in Deutschland nie gegeben. Wir haben eine sehr enge Beziehungsstruktur zwischen den Interessengruppen und der Politik, die Interessengruppen haben immer schon ein Stück weit mitregiert. Das war in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren auch nicht anders als heute, zum Teil sogar stärker: Der Bauernverband hatte faktisch ein eigenes Ministerium, das Wirtschaftsministerium war immer "in der Hand der Arbeitgeber". Heute hat sich das, wie gesagt, teilweise aufgelöst. Der Vorwurf, die Regierung sei vor Lobbyisten eingeknickt, wurde zuletzt beispielsweise bei der Gesundheitsreform erhoben. Ich sehe nicht, dass das zutrifft. Die Regierung war doch froh, überhaupt einen Kompromiss aus völlig konträren Positionen zusammengezimmert zu haben. Und die Verbände waren ja alles andere als zufrieden mit der Reform.

Sie haben im vergangenen Sommersemester an der Freien Universität Berlin ein Seminar zum Thema Lobbyismus angeboten. Was haben Sie Ihren Studenten gesagt, was ein Lobbyist können muss?

Der klassische Lobbyist fängt als Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten an. Dann wechselt er zu einer Firmenrepräsentanz oder einem Verband. Ein guter Lobbyist muss Fachwissen haben und mit Leuten umgehen können. Das Lobby-Geschäft in Berlin ist sehr netzwerklastig - es geht vor allem um persönliche Beziehungen. In Brüssel ist das anders: Dort ist Lobbying eher Expertise und Fachinformation.

Quelle: ntv.de, Mit Rudolf Speth sprach Hubertus Volmer.

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