Flucht nach Israel Lynchmord an der Grenze
03.08.2007, 17:13 UhrVon Ulrich W. Sahm
Im Schutze der Dunkelheit versuchten sudanesische Flüchtlinge, von Ägypten ins sichere Israel zu gelangen. Über 1.200 Menschen aus dem Sudan, ganze Familien mit Kindern und hochschwangere Frauen, haben schon den Weg in den jüdischen Staat geschafft. Am Donnerstagabend berichteten israelische Soldaten im Fernsehen von einem grausigen Zwischenfall an jener Grenze, über die Prostituierte aus Moldawien, palästinensische Terroristen, mit Haschisch beladene Kamele und Gastarbeiter aus vielerlei Ländern nach Israel geschleust werden.
Die dreihundert Kilometer lange Grenze zwischen Israel und Ägypten besteht nicht aus einem elektronischen Zaun und einer Mauer wie die Grenze zu den Palästinensergebieten. Sie ist leicht zu überwinden.
Mit Überwachungskameras beobachteten israelische Soldatinnen, wie sich vier Menschen der Grenze näherten. Sie alarmierten eine Patrouille. Doch ehe die israelischen Soldaten mit ihrem Jeep zu der genannten Stelle gelangen, hatten auch ägyptische Truppen die Flüchtlinge entdeckt, das Feuer auf sie eröffnet und zwei von ihnen erschossen. Ein Dritter war verwundet, während ein vierter Flüchtling weiter auf den Grenzzaun zurannte. Ein israelischer Soldat streckte ihm seine Hand aus. Er wollte ihm beim Überwinden des Stacheldrahts helfen. Da kamen zwei ägyptische Soldaten und zogen den Flüchtling an den Beinen zurück auf ägyptisches Territorium. "Es war, als ob wir Tauziehen mit diesem Mann spielten", sagte der Soldat. "Die Ägypter hatten ihre geladenen Waffen auf uns gerichtet. Wir befürchteten, dass sie auf uns schießen."
"Das war reiner Lynchmord"
Die Ägypter schleiften den Mann vom Grenzzaun weg und schlugen auf ihn sowie auf den verwundeten Flüchtling ein. Sie steinigten sie, bis beide tot waren. "Das war reiner Lynchmord. Dies sind keine Menschen, das sind Tiere. Sie haben ihn ohne Schusswaffen ermordet", so der Soldat. "Wir haben die Schmerzensschreie und Schläge gehört. Dann haben die Schreie aufgehört."
Der Soldaten erschien im Fernsehen anonym, ohne Namen oder Bild und mit verzerrter Stimme. Auf Anfrage beim Militärsprecher, ob jener Soldat eine offizielle Genehmigung erhalten hatte, sich interviewen zu lassen, wie das bei Militärs Pflicht ist, sagte die Sprecherin: "Kein Kommentar."
Flüchtlinge nicht willkommen
Weder in Ägypten, das mit Flüchtlingen aus Sudan überlaufen ist, noch in Israel sind diese Flüchtlinge willkommen. Bei der gewaltsamen Räumung eines sudanischen Flüchtlingslagers im Zentrum von Kairo waren Ende 2005 von der ägyptischen Polizei 26 Menschen, darunter Frauen und Kinder, erschossen worden.
Die illegal über die Grenze nach Israel geschleusten Sudaner erlebten teilweise abenteuerliche Odysseen. Die ersten Flüchtlinge, vor allem Männer, wurden ins Keziot-Gefängnis gesteckt. Ihre Straftat lautete: illegale Einreise.
Dann griff das Militär ganze Familien mit Kindern auf. Nach einigen Tagen erklärte die Militärs, die Zivilisten nicht in ihrer Kaserne bei Beer Schewa beherbergen zu können. Im Bus wurden die Flüchtlingsfamilien ins Stadtzentrum gefahren und ihrem Schicksal überlassen. Dort schliefen sie unter freiem Himmel, bis wohlherzige Menschen ihnen mit Windeln und Nahrungsmitteln halfen.
"Kein Müllabladeplatz für schwarze Flüchtlinge"
Die Regierung wachte spät auf. Politiker redeten von der üblichen Gefahr, dass sich unter den Flüchtlingen auch Terroristen verstecken könnten. Der Bürgermeister von Beer Schewa, Jakob Turner, schickte die Flüchtlinge per Bus nach Jerusalem. Sie sollten vor der Knesset demonstrieren und auf ihr Schicksal aufmerksam machen, zumal sich keine offizielle Behörde für sie zuständig hielt.
Einige wurden nach Hadera gebracht. Der Bürgermeister protestierte: "Wir sind eine aufstrebende Stadt und kein Müllabladeplatz für schwarze Flüchtlinge." Die Diskussion in Israel, für und wider eine Aufnahme dieser Flüchtlinge aus Schwarzafrika, wurde immer schärfer. Einige argumentierten, dass Israel zu klein sei, Flüchtlinge aus Afrika aufnehmen zu können. Andere erinnerten an das Schicksal der Juden während und nach dem Holocaust, als kein Land der Welt sie aufnehmen wollte und sie so des Todes gewiss waren. Zufällig trafen sich am Donnerstagabend Überlebende des Flüchtlingsschiffes "Exodus", das 1947 mit 4.500 Menschen an Bord die britische Blockade zum Heiligen Land durchbrechen wollte. Am Ende wurden diese Holocaustüberlebenden nach Deutschland zurückgeschickt.
Kibbutzim und Hotels in Eilat meldeten sich, einzelne Flüchtlinge aufnehmen zu wollen und ihnen "schwarze Arbeit" zuzuweisen, für die sich ohnehin kein Israeli die Finger beschmutzt. Christliche Organisationen entdeckten, dass viele der Flüchtlinge Christen seien. So wurden einige Familien in ein billiges Hotel in der Altstadt Jerusalems gebracht, wo sie versorgt werden konnten.
Das Problem schwelt schon seit Monaten. Anfang Juli hatte Ministerpräsident Ehud Olmert mit Ägyptens Präsident Hosni Mubarak abgesprochen, dass jeder Flüchtling, der über Ägypten nach Israel eindringt, nach Ägypten zurückgebracht werde. Damit solle umgehend begonnen werden, hieß es im Innenministerium. Doch der vierfache Mord, von dem die Soldaten berichtet hatten, ließ moralische Zweifel aufkommen. Israel will jetzt die UNO-Flüchtlingshilfe-Organisation einschalten. Inzwischen hat eine Mehrheit der Knesset-Abgeordneten einen Aufruf unterzeichnet, die Flüchtlinge aus Darfur aufzunehmen und an "sichere" Länder weiterzureichen.
Quelle: ntv.de