Dossier

Hartz-IV-Leistungen Mehr Geld für Kinder

Ein kleiner Junge sitzt allein auf einem Spielplatzes im Innenhof eines Plattenbau-Wohngebiets in Frankfurt (Oder).

Ein kleiner Junge sitzt allein auf einem Spielplatzes im Innenhof eines Plattenbau-Wohngebiets in Frankfurt (Oder).

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wenn die Richter des Bundesverfassungsgerichts am 20. Oktober darüber verhandeln, ob die Hartz-IV-Sätze für Kinder eigentlich hoch genug sind, werden sie irgendwann bei einer merkwürdigen Frage ankommen: Ein menschenwürdiges Dasein - wie rechnet man das eigentlich in Euro und Cent um?

7,50 für den Fußballverein sind nicht drin

Das Bundessozialgericht und - noch sehr viel vehementer - das Hessische Landessozialgericht halten die Hartz-IV-Leistungen, die für Kinder bis zum 14. Lebensjahr vorgesehen sind, für verfassungswidrig. Sie haben dem Bundesverfassungsgericht die Klagen dreier Familien aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen vorgelegt. Ein Beispiel aus Dortmund: 1360 Euro staatliche Leistungen monatlich sollen reichen, Miete wird extra erstattet - für drei Kinder und zwei Erwachsene. Die 7,50 Euro, die der neunjährige Sohn für den Fußballverein benötigte, sind nicht drin, sagt Rechtsanwalt Martin Reucher.

Die Zielrichtung der Richtervorlagen ist klar: Die Sozialkassen sollen mehr Geld für Kinder locker machen. Wie immer, wenn es in Karlsruhe um Soziales oder Steuern geht, wird also der Bundesfinanzminister - wer auch immer es werden soll - angespannt gen Süden blicken. Sollten die Sätze für die gut 1,7 Millionen Hartz-IV- Empfänger im Kindesalter als Konsequenz des Karlsruher Verfahrens nur um zehn Euro erhöht werden müssen, dann schlüge das im Sozialhaushalt mit 200 Millionen Euro zu Buche.

Aus Sicht der Sozialrichter hat es sich der Gesetzgeber mit der Festsetzung der Hartz-IV-Sätze zu leicht gemacht. 359 Euro beträgt aktuell die Regelleistung für Alleinstehende; wer unter 14 ist, bekam früher nur 60 Prozent davon, kürzlich ist die Gruppe der 6- bis 14- Jährigen auf 70 Prozent hochgestuft worden. Macht genau 251 Euro.

"Gestaltungsermessen" des Gesetzgebers

Allerdings billigt das Bundessozialgericht (BSG) immerhin den Ausgangspunkt des Gesetzgebers, nämlich die Berechnung des Regelsatzes für Erwachsene. Dazu greift der Gesetzgeber auf Daten des Statistischen Bundesamtes zurück, das ermittelt hat, welchen Verbrauch die untersten 20 Prozent der Haushalte in Deutschland haben. Das geht in Ordnung, meint das BSG. Das Existenzminimum lasse sich nicht exakt aus dem Grundgesetz herleiten, hier gebe es ein "Gestaltungsermessen" des Gesetzgebers.

Grundsätzliche Einwände hat der Kasseler Gerichtshof aber dagegen, den Kindesbedarf einfach durch einen pauschalen Abschlag festzusetzen - als ob Menschen, nur weil sie kleiner sind, grundsätzlich weniger Geld benötigten. "Unspezifisch und unreflektiert" sei dies vor allem deshalb, weil bei der Leistung für Erwachsene keinerlei "Bildungsausgaben" veranschlagt wurden - die bei Schülern nun mal zwangsläufig anfallen. Der Bundesrat prangerte dieses Defizit vergangenes Jahr an, und kürzlich hat der Gesetzgeber für Schüler immerhin jährlich 100 Euro zusätzlich ausgeschüttet.

Das Hessische Sozialgericht hält bereits den statistischen Ansatz für völlig verkehrt - weil er allein Ein-Personen-Haushalte zugrundelegt. Singles jedoch lebten eher in der Stadt, Familien dagegen häufiger auf dem Land, zudem müssten Kinder ständig irgendwohin gefahren werden, kurzum: Das Ausgabeverhalten von Familien sei grundlegend anders.

20 bis 50 Prozent Zuschlag

Die finanziellen Konsequenzen diese Ansatzes haben Sachverständige den hessischen Sozialrichtern vorgerechnet - sie wären verheerend für den Finanzminister: je nach Altersgruppe 20 bis 50 Prozent Zuschlag auf die Hartz-IV-Sätze. Auch mehrere Verbände, darunter der Paritätische Wohlfahrtsverband, halten die Sätze für zu niedrig.

Dass Karlsruhe einen solchen finanzpolitischen Sprengsatz auf Euro und Cent genau in seine Entscheidung hineinschreibt, gilt als eher unwahrscheinlich. Normalerweise sind die Verfassungsrichter zurückhaltend mit derart konkreten Vorgaben. Allerdings hat sich der Zweite Senat vor gut zehn Jahren nicht gescheut, die aus seiner Sicht notwendige Steuerentlastung von Familien mit konkreten Beträgen zu flankieren. Ein Urteil, das aus der Feder von Paul Kirchhof stammt. Dessen Bruder Ferdinand ist nun federführend im Hartz-IV-Verfahren.

Quelle: ntv.de, Wolfgang Janisch, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen