Merkels neues Thema: Mein Leben in der DDR
20.05.2009, 16:01 UhrSie ist um Differenzierung bemüht, wendet sich gegen Schwarz-Weiß-Malerei. "Das Leben besteht nicht nur aus Staat", sagt Angela Merkel. Mit Staat meint die Bundeskanzlerin in dem Fall nicht die Bundesrepublik, die sie nun seit knapp vier Jahren lenkt. Es geht um die DDR, deren Bürgerin sie bis vor 20 Jahren war. Das private Leben dort - das seien auch Freunde, Verwandte und liebvolle Eltern gewesen. Darauf legt die Kanzlerin wert, auch wenn sie in gleichem Atemzug die DDR einen Unrechtsstaat nennt.
Merkel hat in diesem Frühjahr, wo sich in wenigen Monaten der 20. Jahrestag des Mauerfalls jährt, ein neues Thema gefunden. Die Überschrift könnte lauten: Mein Leben in der DDR. Sie redet darüber nicht nur in der ARD-Talk-Show "Menschen bei Maischberger", die am Dienstagabend ausgestrahlt wurde. Schon bei anderen Anlässen in jüngster Zeit - wie der Feier der CDU zu 60 Jahren Bundesrepublik zum Beispiel - trat sie als Zeitzeugin in eigener Sache auf. Bundespräsident Horst Köhler wird beim Staatsakt zu sechs Jahrzehnten Bundesrepublik an diesem Freitag in Berlin als einziges der Verfassungsorgane reden. Merkel hat ihre Ko-Referate schon gehalten.
"Die Straßenverkehrsordnung war in Ordnung"
Ihre Plauderei über die DDR und ihre Vergangenheit ist auch eine neue Facette in ihrer Außendarstellung. In ihren zehn Jahren als CDU-Vorsitzende ist sie Fragen nach ihrer DDR-Biografie zwar nicht ausgewichen. Sie vermied es jedoch stets zu betonen, dass sie eine ehemalige DDR-Bürgerin sei. Sie wusste, dass sie mit ihrer Biografie für manch altgedientes CDU-Mitglied vom Rhein oder Neckar eine gewisse Zumutung war, auch für die westdeutsch geprägte Bundesrepublik. Mit Geschichten aus ihrem alten Leben hielt sie sich da lieber ein Stück zurück, wie auch enge Weggefährten sagen.
Diese Scheu hat sie im Jahr der deutschen Jubiläen nun abgelegt. Als erster deutscher Regierungschef besuchte Merkel kürzlich das Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Sie geißelt die DDR als "Unrechtsstaat" und als Gebilde, in dem "immer die Lüge auf der Tagesordnung war". Nicht alles war dabei natürlich unrecht, fügt sie hinzu. "Die Straßenverkehrsordnung war in Ordnung."
Ex-DDR-Büger sind auch Wähler
Mit Worten grenzt sie sich aber auch ab. Sie sind versteckte kleine politische Seitenhiebe auf die Linkspartei und SPD-Leute wie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering oder die SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, die die DDR nicht nur als Unrechtsstaat ansehen wollen beziehungsweise diesen Begriff für zu diffus halten. Ähnlich wie Sellering und Schwan versucht aber Merkel ebenso den Spagat einer Sowohl-Als-Auch-Betrachtung. Nur lässt sie eben an der DDR als Staat kein gutes Haar, sondern lobt nur die Menschen, die auch heute noch Wähler sind.
Für sich selbst nimmt sie keine Opfer-Rolle in Anspruch. Das geht auch kaum, wo sie doch in der FDJ war und dort auch eine Funktion hatte. Andere, wie die Bürgerrechtler, hätten in der DDR viel mehr riskiert, räumt Merkel ein. Sie habe das Leben als Wissenschaftlerin gelebt. Nicht ganz ungelegen kommen ihr aber Fragen, die sich um den Versuch der Stasi drehen, sie als junge Physikerin anzuwerben: "Ich habe sehr schnell gesagt, dass das für mich nichts ist", gibt sie Auskunft. Sie habe schon vorher in ihrem Elternhaus besprochen, in einem solchen Fall zu sagen, man könne den Mund nicht halten und erzähle immer alles seinen Freunden, berichtet die Kanzlerin.
Es menschelt in solchen Momenten, wenn Merkel solche Begebenheiten erzählt - auch, wie sie am Tag des Mauerfalls bei "wildfremden Menschen" in West-Berlin mit Dosenbier die neue Freiheit gefeiert hat. Die Bürger im Westen wissen nun etwas mehr, wie die Kanzlerin früher so war. Und die Menschen im Osten könnten bei diesen Geschichtsstunden denken, sie ist eben immer noch eine von uns. Beides kann in einem Wahljahr nicht schaden.
Quelle: ntv.de, Ulrich Scharlack, dpa