Dossier

Interview mit Pawel Chodorkowski "Mein Vater wird noch lange sitzen"

Michail Chodorkowski ist seit 2003 in Haft.

Michail Chodorkowski ist seit 2003 in Haft.

(Foto: dpa)

Als der Oligarch Michail Chodorkowski Russlands Präsidenten Wladimir Putin herausfordert, ist sein Schicksal besiegelt: Einer der reichsten Männer Russlands wird vor Gericht gestellt und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Sein Ölkonzern Jukos wird zerschlagen und in windigen Auktionen russischen Staatskonzernen einverleibt. Derzeit verbüßt Chodorkowski seine Haftstrafe in einem Lager an der finnischen Grenze. "Putin und seine Leute werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um meinen Vater hinter Gittern zu halten", sagt sein Sohn Pawel. Auch in Russlands nahe Zukunft blickt er pessimistisch. Unter Putin habe das Land viele verlorene Jahre vor sich.

n-tv.de: Wie geht es Ihrem Vater?

Pawel Chodorkowski: Mein Vater ist zurzeit in einem Arbeitslager in der Region Karelien nahe der finnischen Grenze eingesperrt - ungefähr 900 Kilometer entfernt von Moskau und von seiner Mutter. Ihm geht es den Umständen entsprechend gut.

Wie stehen Sie mit Ihrem Vater in Kontakt?

Seit mein Vater an seinen neuen Haftort nahe der finnischen Grenze verlegt wurde, darf er telefonieren. Samstags kann er sich eine Telefonkarte kaufen und darf telefonieren. Aber nur 10 bis 15 Minuten.

Worüber sprechen Sie?

Meistens rede ich hauptsächlich. Er achtet darauf, dass er nicht über seine Situation im Gefängnis spricht. Er sagt nur, dass es ihm gut geht und wir uns keine Sorgen machen sollen.

Warum tut er sich das an? Er war einer der reichsten Russen und hätte ein angenehmes Leben führen können …

Mein Vater hat sich schon lange vor seiner Verhaftung entschieden, seine Geschäftsaktivitäten zurückzufahren. Stattdessen wollte er sich mit seiner Stiftung "Offenes Russland" für die Entwicklung der Zivilgesellschaft einzusetzen. Durch seine Verhaftung 2003 wurde dies verhindert und die Opposition wurde geschwächt.

War sich Ihr Vater über die Gefahr im Klaren, als er den damaligen Präsidenten Wladimir Putin herausforderte – oder dachte er, er sei unantastbar?

"Der Fall Chodorkowski" von Regisseur Cyril Tuschi läuft derzeit in den deutschen Kinos.

"Der Fall Chodorkowski" von Regisseur Cyril Tuschi läuft derzeit in den deutschen Kinos.

(Foto: dpa)

Er wusste genau, wie es um ihn stand. Er hätte die Chance gehabt, sich abzusetzen, hat sie aber nicht genutzt. Im September 2003 hat mich mein Vater in den USA in Boston besucht. Da hatte ich gerade angefangen, dort zu studieren. Sein Verhältnis zu Putin war damals schon sehr angespannt, und er wusste, dass er wohl verhaftet wird, wenn er zurück nach Russland fliegt.

Denken Sie manchmal, dass Ihr Vater damals einen schrecklichen Fehler gemacht hat?

Niemand hätte ihn davon abhalten können, zurück nach Russland zu gehen. Mein Vater wollte seinen Freund und Geschäftspartner Platon Lebedew, der bereits ein paar Monate vorher verhaftet worden war, nicht im Stich lassen. Ich würde ihn nie darum bitten, seine Prinzipien aufzugeben. Sein Fehler bestand höchstens darin, dass er dachte, er könne - weil er unschuldig ist - seine Unschuld beweisen, wenn er ein faires Verfahren bekommt. Aber das hat er nicht bekommen.

Ihr Vater wollte zur Entstehung einer Zivilgesellschaft in Russland beitragen. Wenn man sich den Zustand des Landes anschaut: Ist dieser Kampf bereits verloren?

Ja, die Zivilgesellschaft ist noch sehr unterentwickelt in Russland. Aber ich hoffe, dass es eine neue Generation in Russland gibt, die nicht gleichgültig gegenüber sozialen Fragen und den Problemen anderer Menschen ist.

Für viele Russen ist Ihr Vater die Verkörperung des gierigen Oligarchen. Sie sind der Meinung, dass er zu Recht im Gefängnis sitzt. Was denken Sie darüber?

Die Darstellung meines Vaters auf diese Weise ist Teil der staatlichen Propaganda. Ja, mein Vater erwarb sein Vermögen in einer Zeit großer Turbulenzen, die nicht mit gewöhnlichen Zeiten verglichen werden kann. Aber er hat nie Gesetze verletzt, die zu diesem Zeitpunkt existierten. Außerdem war er nie an Jachten, Villen, Diamanten oder anderen Trophäen der Nouveaux Riches interessiert. Ihm ging es immer um die Entwicklung seines Unternehmens und später den Aufbau seiner Stiftung "Offenes Russland".

Pawel Chodorkowski

Pawel Chodorkowski

Wie würden Sie den gegenwärtigen Zustand des politischen Systems und der Gesellschaft in Russland beschreiben?

Wer noch Hoffnung hatte, dass sich das politische System aus eigener Initiative hin zu Demokratisierung und Liberalisierung entwickelt, wurde eines Besseren belehrt, als Putin angekündigt hat, erneut Präsident zu werden. In einem Artikel für "Vedomosti" letzten Monat schrieb mein Vater, dass die neue Generation aufhören sollte, darauf zu warten, dass eine moderne Demokratie von oben errichtet wird. Sie solle sich vereinigen, um für den Schutz ihrer Bürgerrechte zu kämpfen.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das passiert?

Unter Putin hat Russland sechs oder wahrscheinlich sogar zwölf verlorene Jahre vor sich. Ich fürchte, dass das Land eine lange Stagnation und eine politische Krise vor sich hat, bevor die Bürger soziale und politische Reformen einfordern werden.

Denken Sie, dass Ihr Vater in einigen Jahren frei sein wird – oder wird Putin das verhindern?

Putin und seine Leute werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um meinen Vater hinter Gittern zu halten. Er wird so lange sitzen, wie Putin an der Macht ist, denn sie haben Angst vor ihm. Schon der letzte Prozess war an Absurdität nicht zu überbieten. Trotzdem wurde er verurteilt. Der Staat hat bewiesen, dass er alles kann.

Sind Sie stolz auf Ihren Vater?

Ja, das bin ich. Er hat weder seine Freunde noch seine Überzeugungen verraten, auch wenn dies bedeutet, im Gefängnis zu bleiben. Ich vermisse ihn schrecklich und freue mich auf den Tag, wenn ich ihn in Freiheit wiedersehe.

Mit Pawel Chodorkowski sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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