SPD kaum noch größte Partei Mitglieder wenden sich ab
08.04.2008, 10:46 UhrGeh mit der Zeit, geh mit der SPD. Dieser Slogan zur Werbung neuer Mitglieder vor 50 Jahren gilt schon lange nicht mehr, Genosse Trend arbeitet unbarmherzig gegen die Sozialdemokraten: In wenigen Wochen wird sich nach Meinung von Meinungsforschern ein historischer Wandel vollziehen und die CDU zur mitgliederstärksten Partei in Deutschland werden. Die SPD hat derzeit 534.476 Mitglieder, die CDU zählte zuletzt 533.265 Anhänger. Die SPD wird das auf ihrer Homepage propagierte Selbstverständnis von der "größten Volkspartei der Republik" wohl bald aufgeben müssen - und für die Union würde ein Traum in Erfüllung gehen. Denn die CDU lag bei den Mitgliedern seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen hinter den Sozialdemokraten.
"Das ist eine dramatische Entwicklung", sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Die Linke ist derzeit die einzige Partei, die Mitglieder gewinnt - zuletzt hatte sie 72.000. "Sie haben es gerade im Osten verstanden, die Menschen an die Hand zu nehmen", sagt Güllner. So sei beim Ausfüllen von Anträgen für Sozialleistungen geholfen worden. Und die Vorgängerpartei PDS organisierte Anti-Hartz IV-Demos. Die beiden großen Parteien CDU und SPD verloren seit den 90er Jahren hunderttausende Anhänger. Da die CDU aber zurzeit weniger an Zulauf verliert als die SPD scheint die Wachablösung eine Frage der Zeit. Die Sozialdemokraten büßten allein im Februar 2000 Mitglieder ein.
Ex-Kanzlerwahlverein macht Milieupartei Konkurrenz
Bei der Union im Konrad-Adenauer-Haus spricht man schon von einer Kehrtwende. Dort verweist man aber auch darauf, dass die CDU zusammen mit der bayerischen CSU bereits seit Mitte der 90er Jahre mehr Mitglieder als die SPD zählt. "Die CDU kann heute ihre Mitglieder offensichtlich etwas besser binden", meint Güllner. Die CDU erreichte nach dem Mauerfall mit 750.000 Mitgliedern ihren Höchststand. Unter Generalsekretär Kurt Biedenkopf hatte erst in den 70er Jahren die Entwicklung zur Mitgliederpartei begonnen. Unter Kanzler Adenauer zählte die Basis wenig - seine CDU galt nur als Kanzlerwahlverein.
Die SPD galt lange als erfolgreiche Milieupartei, die eine eigene Lebenswelt für Arbeiter schuf. In der Kaiserzeit und der Weimarer Republik gab es zum Beispiel sozialdemokratische Sport- und Gesellschaftsvereine. Das häufig ausgegrenzte Proletariat bekam hier eine Heimat. 1947 erreichte die Partei mit 875.000 Mitgliedern einen ersten Höchststand nach dem Zweiten Weltkrieg. 1957 aber, als die CDU/CSU mit 50,2 Prozent ihren größten Wahltriumph verbuchen konnte, war die SPD mit 630.000 Mitgliedern fast wieder auf dem Stand von 1930 angelangt.
Mit dem Bad Godesberger Programm forcierte die SPD 1959 den Wandel zur modernen Volkspartei. Der erste SPD-Kanzler Willy Brandt sorgte zehn Jahre später für Euphorie. In den 1970er Jahren hatten rund eine Million Genossen das Parteibuch in der Tasche. Die Kehrseite des Booms: In den Ortsvereinen fühlte sich die Stammklientel, wie die Arbeiter, zunehmend unwohl im Kreis von ewig diskutierenden Lehrern, Beamten, Akademikern, Studenten und Angestellten.
Zurück zu den Menschen
"Aufstiegskanäle wurden verstopft von den neuen Aufsteigern", sagt Güllner. Resigniert von endlosen Debatten zogen sich viele Mitglieder zurück, die Bindung schwand. Hinzu kam zuletzt allgemein steigendes Desinteresse am Engagement für Parteien. Seit 1976 halbierte sich fast die Mitgliederzahl. Nur mit wenigen Ausnahmen wie 1998 - dem Jahr des Beginns von Rot-Grün - konnte die SPD kurzfristig einige tausend Mitglieder hinzugewinnen.
"Die SPD ist groß geworden, weil sie vor Ort Vertrauen gewonnen hat", sagt Güllner. Die Agenda 2010 und zu wenig Rücksichtnahme auf die Parteiseele hätten zuletzt den dramatischen Schwund beschleunigt. Parteichef Kurt Beck tourt derzeit immer wieder durch die Provinz, das Motto des Deutschland-Dialogs lautet: "Nah bei den Menschen". Juso-Chefin Franziska Drohsel sagt: "Ich denke, es ist der Versuch, mit den Menschen wieder stärker in Kontakt zu treten." Gerade die Verankerung im gewerkschaftlichen Milieu sei "vielerorts durch die Agenda 2010 flöten gegangen".
Von Georg Ismar, dpa
Quelle: ntv.de