Dossier

Psychiater mit blutigen Händen Mythos Karadzic

Radovan Karadzic verkörpert für viele seiner Landsleute den Traum von Großserbien. Dem Ziel der Vereinigung der Serben-Gebiete in Kroatien und Bosnien mit dem "Mutterland" Serbien hat der 63-Jährige alles untergeordnet. Seine hasserfüllten Reden gegen die muslimische Mehrheit in Bosnien, die er als zivilisatorisch rückständig betrachtet, haben seine Anhänger zu schlimmsten Kriegsverbrechen aufgestachelt. Karadzic hat diese als Einzelfälle hingestellt, die der Schaffung von Großserbien unterzuordnen seien.

Karadzic wurde am 19. Juni 1945 in Montenegro in bescheidenen Verhältnisse geboren. Mit 15 Jahren wechselte er ins damals multiethnische Sarajevo, wo er Medizin studierte und gemeinsam mit seiner Frau eine psychiatrische Praxis betrieb. Er spezialisierte sich auf Neurosen und Depressionen. In der Freizeit schrieb er Gedichte, die er mit Titeln wie "Verrückte Lanze" oder "Schwarze Märchen" veröffentlichte.

Christ und Kriegstreiber

Mit der Gründung der radikalen Serbischen Demokratischen Partei (SDS) 1990 und der Ausrufung der "Serbischen Republik" Ende 1991 stieg der Mann mit dem wilden Haarschopf zu zweifelhafter internationaler Bekanntschaft auf: Er war bis zu seinem erzwungenen Rückzug 1996 Parteichef und "Präsident" des serbischen Landesteils in Bosnien mit praktisch unbegrenzten Vollmachten.

Unterstützt von der Serbisch-Orthodoxen Kirche ließ Karadzic für die serbische Minderheit 70 Prozent des Landes besetzen. Der nach eigener Aussage tiefgläubige Christ narrte dabei die internationale Staatengemeinschaft. Während er den immer neuen Friedensvorschlägen zustimmte, ließ er seine Soldaten neue Geländegewinne erkämpfen.

Tausende Tote, hunderte Massaker

Alles war ihm dabei Recht. Er ließ internationale Hilfstransporte plündern oder besteuern, Sarajevo einschließen und von den umliegenden Bergen mit schweren Waffen beschießen oder UN-Soldaten als "lebende Schutzschilde" entführen. Er soll durch seine Befehle für den Tod von 75.000 Zivilisten, für über 400 Massaker, 380 menschenunwürdige Lager und 93 Massengräber verantwortlich sein.

Die Macht nutzte er für die private Bereicherung. Seine Firmen sollen durch Einfuhrmonopole für Zigaretten, Alkohol, Zement oder Öl riesige Verdienste abgeworfen haben. Die nutzte er zum Aufbau einer Privatarmee, mit der auch die NATO den direkten Kampf scheute. Durch den Rückhalt in der Bevölkerung schlugen Verhaftungsversuche fehl. Doch obwohl der Traum von Großserbien zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten geführt hat, so lebt der Karadzic-Mythos unter den Serben weiter.

Thomas Brey, dpa

Quelle: ntv.de

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