Im Sumpf der Korruption Näherinnen in Kambodscha
24.05.2009, 13:33 UhrDie weltweite Wirtschaftskrise hat Kambodscha voll erwischt. 80 Prozent der Exporterlöse stammen aus dem Geschäft mit Hemden, Hosen und Schuhen, die hier vor allem für Europa und die USA genäht werden. Viele Fabrik-Besitzer nutzen die prekäre Lage der Näherinnen aus.
Es war eine Nacht- und Nebelaktion, gefährlich, räumt der kambodschanische Gewerkschaftsboss ein. Aber die Leute hatten keine Wahl. Die gefeuerten Näherinnen einer Bekleidungsfabrik in Phnom Penh drangen in ihre einstige Arbeitsstätte ein und verscherbelten sämtliches Inventar meistbietend.
"Sie haben 15.000 Dollar gemacht", sagt Chea Mony, und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. "Das haben sie untereinander verteilt - schließlich hatte niemand die ihnen zustehende Abfindung gezahlt." Die weltweite Wirtschaftskrise hat Kambodscha voll erwischt. 80 Prozent der Exporterlöse stammen aus dem Geschäft mit Hemden, Hosen und Schuhen, die hier vor allem für Europa und die USA genäht werden. In der Rezession ist das Geschäft eingebrochen. Doch nutzen viele Fabrik-Besitzer - meist aus China, Südkorea oder Taiwan - die prekäre Lage auch noch aus, sagt Chea Mony.
"Manche behaupten, sie hätten keine Aufträge mehr, schließen, und machen dann in der Provinz mit billigeren Arbeitskräften neu auf", sagt er. "Andere schließen mit dem Rezessionsargument, wenn die Probezeit der Arbeiter nach drei Monaten abläuft, weil dann höhere Löhne fällig werden." Bei der Neueröffnung könnten sie auch noch Investitionshilfen und Steuernachlässe einsacken.
207 Fabriken geschlossen
Das Arbeitsministerium äußert sich dazu nicht, doch sind laut Statistik zwischen September und März 15 neue Fabriklizenzen erteilt, während die Zahl der geschlossenen Fabriken von 140 auf 207 stieg. Insgesamt gab es im März 258 aktive Nähfabriken (September: 310). Die Gesamtzahl der Beschäftigten schrumpfte in dem Zeitraum von 352.000 auf 289.000. Die gesamte monatliche Lohnsumme sank von gut 29 Millionen US-Dollar im September auf 23,5 Millionen Dollar im März.
Betroffen sind meistens Frauen, wie Eang Nara. Die 35-jährige Näherin ist geschieden, ihre Tochter Chanthou lebt 180 Kilometer entfernt bei ihrem Bruder. 30 Dollar zahlt sie ihm dafür im Monat. Eang hat sich für das Gespräch herausgeputzt: mit Rüschenbluse und Glitzerspange im schwarzen Haar. Nichts verrät, wie hart ihr Leben ist.
120 Dollar im Monat
Wie ihre Freundin Long Sreypov nähte sie für eine Hongkonger Firma, Jeans mit Doppelnaht, erklärt sie, das sei nicht einfach. Für 13-Stunden-Tage, sechs Tage die Woche, gab es rund 120 Dollar im Monat. Nach acht Jahren schickte der Chef die Belegschaft eines Tages plötzlich nach Hause. "Wir haben keine Aufträge mehr - in zwei Tagen könnt ihr kommen und euer Geld abholen", sagte er. Für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit stehen Arbeiterinnen eigentlich 100 Dollar Abfindung zu. Zwei Tage später war die Fabrik verlassen. Die Frauen und hunderte Kolleginnen waren verzweifelt.
"Wir haben zu Dutzenden zehn Monate lang vor dem Fabriktor geschlafen", sagen die beiden. "Damit der Besitzer nicht das Inventar abholt." Die Angestellten zogen vor Gericht, die Maschinen wurden von staatswegen verkauft. "Wir haben von dem Geld noch nichts gesehen", sagen sie. Zum Überleben mussten sie sich Geld mit Wucherzins leihen. "Jetzt sind ständig die Geldverleiher hinter mir her, aber ich habe doch nichts", sagt Long Sreypov, die ihre Mutter in der Provinz unterstützt. Die beiden fanden nach zehn Monaten Arbeit in einer Kartonfabrik. Da gibt es nur noch 80 Dollar für Zwölf-Stunden-Tage.
Ohne Schmiergeld läuft nichts
Wie die beiden Frauen warten viele vergeblich auf Hilfe durch die Behörden. Ohne Schmiergeld läuft nichts, sagt Chea Mony - ein Klacks für die Fabrikbesitzer. Mancher verschwindet auch über Nacht. Deshalb hilft die Gewerkschaft verzweifelten Arbeitern schon mal mit unorthodoxen Methoden wie dem Verscherbeln der Fabrikeinrichtung. "Wir haben es fünf oder sechs Mal gemacht. Klar ist es illegal, wir könnten verhaftet werden - aber was soll man tun? Wenn der Magen leer ist, wird man zum Dieb", sagt Chea Mony. "Skrupellose Investoren stecken hier unter einer Decke mit der korrupten Regierung."
Die "Freie Arbeitergewerkschaft" ist nach seinen Angaben mit 85.000 Mitgliedern die größte im Land. Er sitzt in einem winzigen fensterlosen Büro in Phnom Penh mit gekachelten Wänden. Daran kleben Fotos von schlimm zugerichteten Kollegen. Einem wurde das Ohr abgeschnitten, einem anderem der Schädel eingeschlagen. Chea Monys Bruder war auch aktiv und wurde wie drei andere ermordet. Angst um sein Leben hat er nicht. "Ob Du König oder Arbeiter bist, jeder hat nur ein Leben - wenn die Zeit kommt, kommt sie."
Quelle: ntv.de, Christiane Oelrich, dpa