Algerien und Marokko Nährboden für Radikale
11.04.2007, 18:17 UhrErst Marokko, dann Algerien: Während die Polizei in Casablanca nach einer Serie blutiger Zwischenfälle mit fünf Toten noch intensiv nach islamistischen Extremisten fahndete, zerfetzten zwei Terroranschläge in der Hauptstadt des benachbarten Algerien am Mittwoch zahlreiche Menschen. Verstümmelte Leichen, zerstörte Gebäude, Panik in der Bevölkerung – die Bilder aus beiden nordafrikanischen Ländern gleichen sich. Dass es ausgerechnet diese beiden Maghreb-Staaten traf, halten Antiterrorexperten nicht für Zufall: El Kaida versuche derzeit verstärkt, in der Region zu expandieren.
In Casablanca, der marokkanischen Wirtschaftsmetropole, hatten sich drei Selbstmordattentäter auf der Flucht vor der Polizei in die Luft gesprengt und einen Beamten mit in den Tod gerissen. Ein weiterer Verdächtiger wurde von Polizisten erschossen. In Algier gingen Bomben vor dem Regierungssitz und einer Polizeiwache hoch.
In dem von Touristen viel besuchten Marokko wurden böse Erinnerungen wach: Am 16. Mai 2003 war das amerikafreundliche Königreich, ebenfalls in Casablanca, erstmals überhaupt Schauplatz eines großen islamistischen Anschlags geworden. 45 Menschen starben, darunter 12 Selbstmordattentäter. Seitdem sind tausende Verdächtige festgenommen, hunderte von ihnen verurteilt und Dutzende Terrorzellen zerschlagen worden. Menschenrechtsgruppen beklagen in diesem Zusammenhang Verschleppungen, Folter und zweifelhafte Urteile.
Gleichzeitig haben die jüngsten Ereignisse in Casablanca und in Algier große Befürchtungen im Norden Afrikas, aber auch in Europa, bestätigt: Polizeiexperten warnen schon seit langem vor einer Strategie El Kaidas und verwandter Gruppen zur Ausbreitung des islamistischen Terrors in der gesamten Region.
"Die Tentakel El Kaidas greifen nach den Maghreb-Staaten", sagt der marokkanische Innenminister Chakib Benmoussa. So hat sich die größte Terrororganisation im benachbarten Algerien, die "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC), im Januar in "El Kaida des islamischen Maghreb" umbenannt. Diese bekannte sich in einem Schreiben an den arabischen TV-Sender Al-Dschasira zu den Anschlägen in Algier.
"Osama bin Laden hat seinen algerischen Vasallen befohlen, sämtliche Kräfte des Heiligen Krieges in der Region zu einen", erklärt der marokkanische Politologe Mohammed Darif. Vorfälle wie nun in Casablanca und Algier seien ein Anzeichen dafür, dass die Strategie greife, heißt es. "Schlafende Terrorzellen sind diesem Ruf jetzt gefolgt", meint der Kommentator Mohammed Tozi.
Im Schatten glitzernder Bürotürme sind die Elendsviertel Casablancas und anderer Städte der Region mit ihrer Armut und hohen Arbeitslosigkeit ein fruchtbarer Nährboden für radikale Islamisten.
In den Baracken-Slums von Marokko werden kleinere, oftmals voneinander unabhängige Terrorzellen vermutet, die schwierig zu kontrollieren sind. Eine von ihnen wurde vor einem Monat durch den Tod eines Selbstmordattentäters in einem Internetcaf Casablancas bekannt. Ihre Mitglieder sollen Anschläge auch auf touristische Einrichtungen wie Hotels geplant haben.
Die einstige algerische GSPC, so heißt es, ziehe im Hintergrund die Fäden und koordiniere deren Aktivitäten, etwa über das Internet. Die Feindschaft zwischen Marokko und Algerien angesichts des Westsahara-Konflikts erschwert jedoch die Koordination im Antiterrorkampf. Die Situation beunruhigt auch Länder wie Spanien und Frankreich, wo Hunderttausende Einwanderer aus den Maghreb-Staaten leben, zu denen neben Marokko und Algerien auch Tunesien zählt. Ein Großteil der Terroristen etwa, die als Urheber der Madrider Anschläge vom 11. März 2004 (191 Tote und mehr als 1800 Verletzte) ermittelt wurden, stammt aus Marokko.
Zu der Expansion El Kaidas gehört nach Überzeugung von Antiterrorexperten aber noch eine weitere Komponente: In den Staaten der benachbarten weitläufigen Sahel-Zone, zu der unter anderem der Tschad, Niger, Mali und Mauretanien gehören, habe sich das Terrornetz längst ein neues Operationsgebiet samt Ausbildungslagern für "Gotteskrieger" erschlossen.
Von Jörg Vogelsänger, dpa
Quelle: ntv.de