"Heißer Herbst" in Bulgarien Nationalisten machen mobil
22.08.2008, 08:59 UhrMitten im Ferienmonat August, in dem sich die meisten Politiker Bulgariens am Schwarzen Meer erholen, machen Nationalisten, Rentner und Milchbauern mobil. Unzufriedene Rentner sammeln im Zentrum der Hauptstadt Sofia Unterschriften für Neuwahlen. Milcherzeuger und Viehzüchter blockieren Straßen, um höhere Subventionen zu erzwingen. Die Oppositionspartei Ataka (Angriff) macht mit einem "Volksparlament" in Sofias Stadtmitte täglich Front gegen die Regierung. Sie alle versprechen dem sozialistischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischew eines - einen "heißen Herbst".
"Wir haben bereits mehr als 40.000 Unterschriften für den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen gesammelt", sagt eine Ataka-Aktivistin aus Nowa Sagora. "Die Mafia regiert das Land", wiederholt sie das beliebte Hauptargument von Ataka-Chef Wolen Siderow, der auch Abgeordneter im "richtigen" Parlament ist. Siderow kommt jeden Nachmittag zu den Sitzungen des "Volksparlaments", dessen Mobiliar aus zehn weißen Tischen und zwei Dutzend Stühlen sowie einem überdimensionierten Fernsehgerät besteht.
Neuer Tiefstand für die Regierung
In unmittelbarer Nähe des Präsidialamtes und des Regierungssitzes diskutieren Anhänger und Passanten - manchmal auch Touristen - über die Probleme des Landes und der Menschen. "Allgegenwärtige Korruption", "unverschämt reiche Politiker", "kriminelle Privatisierung" "niedrige Renten", "steigende Preise", lauten die Schlagworte. "Wir hoffen, dass das Volk erwacht", sagt ein junger Mann in einem schwarzen Uniform-T-Shirt mit der Aufschrift "Ataka".
Der Unmut gegen die Regierung erreicht drei Jahre nach ihrem Amtsantritt einen neuen Höhepunkt. Angesichts der ungebremsten Korruption in dem Balkanland hatte die Europäische Union erst Ende Juli Finanzhilfen von rund einer halben Milliarde Euro gestoppt. Doch die Regierung konnte im Parlament auch das sechste Misstrauensvotum überstehen. Inzwischen vertrauen nur noch 13 Prozent der Bevölkerung der Regierung, hat das Institut MBMD ermittelt. Den neuen Tiefstand hat nicht zuletzt die Inflation von über 14 Prozent verursacht.
Stanischew bleibt gelassen
Die Mehrheit der Bevölkerung interessiere sich nur noch dafür, wann die Regierung ihren Hut nimmt, interpretiert der renommierte Politologe Iwan Krastew die Umfragewerte. Krastew leitet das Zentrum für liberale Strategien in Sofia. Deshalb werde sich die Regierung in ihrem letzten Amtsjahr "in einer permanenten Krise" befinden. Der bekannte Politologe Ewgenij Dajnow prophezeit einen "heißen politischen Herbst", nachdem die rechte Opposition einen "Boykott der Regierung" angekündigt hatte.
Doch Ministerpräsident Stanischew bleibt gelassen. Auf einem Fest im Balkangebirge zum 117. Jubiläum seiner Sozialistischen Partei schwärmte er von einem "neuen Regierungsmandat" nach den regulären Parlamentswahlen 2009. Seine von den Sozialisten dominierte Regierung habe bereits ein "günstiges Wirtschaftsklima" geschaffen und wolle sich nun "sozialen Aufgaben" widmen. Die Sozialisten dächten nicht an Aufgabe, versicherte der 42-jährige Sozialistenchef, nicht wegen "Populisten und Ataka-Neofaschisten".
Quelle: ntv.de, Elena Lalowa, dpa