Dossier

Sachsen vor dem Wahljahr Nolle entlarvt "Blöckflöten"

"Gegen das Vergessen" nennt Karl Nolle seine Broschüre, mit der er offiziell einen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit leisten will. Der 63-Jährige sitzt als SPD- Abgeordneter in Sachsens Landtag und hat - auch zum Unmut der eigenen Genossen - jetzt das Thema "Blockflöten" für sich entdeckt. Er erforschte, welche sächsischen CDU-Politiker wann und wo in der DDR Verantwortung getragen haben. Damit rührt Nolle an einen Punkt in der Vita vieler DDR-Bürger, die sich jenseits der Staatspartei SED in anderen Parteien und Organisationen engagierten - sei es, um ihre Ruhe vor SED-Werbern zu haben, um einen Studienplatz zu bekommen oder um Karriereaussichten zu verbessern.

Fokus auf Tillich gerichtet

Pikant an Nolles Vorstoß: Er richtet den Fokus auf Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der aus seiner Biografie nie ein Geheimnis gemacht hatte. Konkret geht es um dessen Arbeit als Vizechef des Rates des Kreises Kamenz, als er von Mai 1989 an für Handel und Versorgung zuständig war. Neben Tillich hält der SPD-Mann aber auch anderen Politikern vom Koalitionspartner CDU deren Vergangenheit vor. Nolle hat zudem etwa zusammengetragen, wie viele Mitglieder der Ost-CDU in Sachsens Parlament saßen oder aktuell noch sitzen. Wie ernst zu nehmen Nolles Ankündigung ist, einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit zu leisten, daran scheiden sich derzeit in Sachsen die Geister.

Die Debatte passt genau zur Diskussion in der Bundes-CDU um das Perspektiv-Papier zur Vergangenheit und Zukunft Ostdeutschlands, das auf dem Stuttgarter Parteitag in der kommenden Woche beschlossen werden soll. Darin soll festgestellt werden, dass die Mitglieder der Ost-CDU versuchten, sich bietende Freiräume zu nutzen und somit einen Beitrag zur friedlichen Revolution geleistet haben. Gleichwohl habe die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt. Mit dem Nolle-Vorstoß ist die Debatte über Systemtreue, Staatsnähe, Obrigkeitsdenken - 19 Jahre nach der politischen Wende in der DDR - wieder in Gang gekommen.

Blockparteien im Windschatten der SED

"Personen in hohen und höchsten Ämtern sollten deutliche Worte über sich selbst und ihre Funktion in der DDR finden", sagt der Dresdner Historiker Klaus-Dietmar Henke. Das müsse man erwarten. Natürlich sei klar, dass vorrangig die SED als "maßgeblicher Partei" begutachtet werde. "Im Windschatten dieser Aufarbeitung sind die Blockparteien bisher zu kurz gekommen." Es müsse aber auch konstatiert werden: "Wer in einer Blockpartei war, der war schon mal nicht in der SED."

Sachsens Regierungssprecher Peter Zimmermann sieht eine schäbige Ost-West-Debatte und miesen Wahlkampf, was der aus Niedersachsen stammende SPD-ler Nolle zu verantworten habe. "Ja, die Vergangenheit muss aufgearbeitet werden", sagt der frühere CDU-Innenminister und Landtagsabgeordnete Heinz Eggert. Aber bitte differenziert. Zudem habe sich Nolle im Landtag bei Abstimmungen über Stasi-Spitzel der Stimme enthalten, weil er nicht über DDR-Biografien richten wolle. Das müsse Nolle schon durchhalten, ansonsten werde er unglaubwürdig.

SPD versucht, "Chefaufklärer" zurückzupfeifen

Druckereibesitzer Nolle ist in Sachsen kein unbeschriebenes Blatt und lässt sich gern als "Chefaufklärer" feiern. In der Vergangenheit hatten sich seine umstrittenen Attacken maßgeblich gegen die CDU- Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt gerichtet, die beide lange unter Beschuss standen und schließlich wegen Affären zurücktraten. Stand die SPD bei den Angriffen gegen Biedenkopf noch hinter Nolle, änderte sich das bei Milbradt - als die SPD 2004 aus der Opposition auf die Regierungsbank rückte. Mehrfach versuchte die SPD, den "Chefaufklärer" zurückzupfeifen.

Mittlerweile heißt es, Nolle stehe eigentlich außerhalb der Koalition. Im kommenden Jahr wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Eine Debatte über "rote Socken" im Umgang mit den Linken wollen sich die Sozialdemokraten vom Koalitionspartner nicht überhelfen lassen. Ob es einen - von wem auch immer angezettelten - Wahlkampf zu "Blockflöten" gibt, liegt im Bereich der Spekulation. Die SPD-Spitze will dies jedenfalls nicht.

Quelle: ntv.de, Petra Strutz, dpa

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