Drei Monate nach dem Zyklon Not in Birma hält an
30.07.2008, 07:39 UhrDie Toten sind beerdigt oder weggespült, die schlimmsten Trümmer beseitigt, das Wasser ist abgelaufen - drei Monate nach der größten Naturkatastrophe in der Geschichte Birmas ist es wieder aufgeräumt. Auch aus den Schlagzeilen ist der verheerende Zyklon verschwunden, doch im Irrawaddy-Delta sind noch längst nicht alle Narben beseitigt. Schnelle Hilfe hat die Militärjunta aus Angst vor ausländischem Einfluss verhindert, und bis heute bleibt der Einsatz für Ausländer mühsam.
"Wir müssen mindestens noch sechs Monate Hilfe liefern", sagte der UN-Chef für humanitäre Hilfe, John Holmes, der die Lage im Katastrophengebiet gerade selbst angeschaut hat. "Wir müssen uns vor allem auf die abgelegenen Gegenden konzentrieren." Die Vereinten Nationen brechen zwar ihre Luftbrücke aus Bangkok ab, doch sollen fünf Hubschrauber im Land bleiben, die Hilfsgüter in Dörfer fliegen, die ansonsten nur mühsam mit Booten zu erreichen sind.
Zyklon Nargis war vom Golf von Bengalen und mit unbändiger Kraft auf das Land gestoßen. Schon die Sturmböen fegten viele der einfach gebauten Hütten um, doch richtete vor allem eine Meter hohe Flutwelle verheerende Schäden an. Ähnlich wie beim Tsunami vor dreieinhalb Jahren klammerten sich Menschen stundenlang in Baumkronen fest. Manche verloren die Kraft, ihre Kinder im reißenden Wasser festzuhalten.
Mindestens drei Jahre Wiederaufbau
Weil viele Gegenden in der verarmten Küstenregion selbst zu besten Zeiten kaum zu erreichen sind, kam das Ausmaß der Katastrophe, die in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai hereinbrach, erst nach mehr als einer Woche ans Licht: 140.000 Tote und Vermisste, und mehr als zwei Millionen Hilfsbedürftige. Eine Arbeitsgruppe mit UN-Beteiligung zeichnete ein Schreckensbild: 450.000 Häuser zerstört, 350.000 beschädigt. 75 Prozent der Kliniken kaputt, ebenso 4000 Schulen. 600.000 Hektar Land überschwemmt, die Hälfte der Büffel verendet. Boote, Vorräte, Samen, Dünger, Ackergeräte - alles weg. Der Wiederaufbau kostet über die nächsten drei Jahre schätzungsweise eine Milliarde Dollar.
Viele Menschen waren wochenlang völlig auf sich allein gestellt. Vor den birmanischen Botschaften in aller Welt standen tausende Helfer und warteten - meist vergeblich - auf Visa. Einige tausend durften schließlich einreisen, doch muss noch heute jede Fahrt in das Gebiet angemeldet und genehmigt werden.
Die Koalitionsregierung im Exil prangert Begünstigungen beim Wiederaufbau an. "Die staatliche Hilfe außerhalb der Flüchtlingslager ist nur an Dörfer in der Nähe von Militärstützpunkten oder in Heimatdörfern von Generälen verteilt worden", schrieb Autor Ko Shwe. So werde im Dorf Kyone Kuu, aus dem Ministerpräsident Thein Sein stammt, emsig am Schulgebäude und der Klinik gebaut - in der Umgebung dagegen hungerten die Menschen.
Sex für Geld
Überall gebe es dutzende Waisenkinder, die nicht betreut würden, berichtet Ko Shwe. "Wie bist Du davon gekommen?" habe er einen Zwölfjährigen gefragt. "Ich hielt mich an einem Baum fest", antwortete das Kind. "Und wie hast Du Deine Eltern verloren?" Der Junge starrte nur stumm vor sich hin. Seine Mutter und zwei seiner Geschwister waren vor seinen Augen vom Sturm weggerissen worden. Inzwischen böten sogar 15-jährige verzweifelt Sex im Gegenzug für ein bisschen Geld. "Eine flehte mich um 500 oder 100 Kyat an und sagte, ich könnte mit ihr machen was ich wollte." 1000 Kyat sind umgerechnet nicht einmal ein Euro.
Viele Bauern seien wieder in ihre noch völlig zerstörten Dörfer zurück gezwungen worden mit der Drohung, dass ihre Felder sonst konfisziert würden. Die Regierung biete Gerät und Samen zum Kauf an, doch sei das für die meisten unerschwinglich. Zudem verlieren die Vereinten Nationen inzwischen hunderte Millionen Dollar, weil die Junta ihnen einen völlig überhöhten Wechselkurs aufzwingt. Die Lage sei "unhaltbar", sagte Holmes nach seinem Besuch. Doch die Junta hat sich noch nie wirklich um die Meinung anderer geschert.
Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de