"Ein Traum wird wahr" Obamas Herausforderungen
18.01.2009, 11:34 UhrDie USA bereiten sich auf eine Riesenparty vor. Zur Vereidigung von Barack Obama steigen Abertausende Amerikaner in Busse, Züge und Flugzeuge nach Washington oder fahren Riesenstrecken mit dem Auto. Im ganzen Land werden Treffen in Kinos, Kirchen, Bars, Schulen und Museen organisiert, um den Amtseid des ersten schwarzen US-Präsidenten live mitzuerleben. Ein Geschäftsmann in Cincinnati vergleicht den Moment mit der Mondlandung, eine Einwanderin aus den Philippinen spricht in San Francisco von John F. Kennedy. Die Stimme einer schwarzen Texanerin stockt als sie erzählt, dass sie die Ur-Enkelin eines Sklaven ist.
Wenn Obama am Dienstag die Hand hebt, wird für Millionen Amerikaner ein Traum wahr, an dessen Erfüllung viele noch bis in die Wahlnacht hinein nicht zu glauben wagten. Und niemand zweifelt daran, dass allein seine Persönlichkeit - wortgewandt und charismatisch - einen neuen Stil bringen wird, den große Teile der Welt nach der Ära von George W. Bush herbeisehnen.
Aber die USA stecken in der schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren, das Militär führt zwei Kriege, von Nahost bis Nordkorea bleibt die Außenpolitik bestenfalls schwierig und im Wahlkampf wurden ambitionierte Projekte wie die Reform des Gesundheitssystems und eine neue Energiepolitik versprochen. Der Mann, der das alles bewältigen will, ist gerade 47 Jahre alt, hat keine Erfahrung in der Regierung und hat im Senat nicht einmal seine volle Legislaturperiode abgesessen. Zweifel bleiben.
Bevor Obama sich ihnen stellen kann, hat er ein volles Programm. Am Samstag ging es in Philadelphia los, dem Geburtsort der US-Demokratie. Mit dem Zug reiste er durch Delaware und Maryland, bevor er am Nachmittag in Washington ankam. Am Sonntag tritt Obama dort am Lincoln-Denkmal vor die Menschen. Am Montag ist Martin Luther King Jr. Day, ein Feiertag, der in diesem Jahr kaum symbolträchtiger sein könnte. Die Vereidigung selbst findet am Dienstagmittag (Ortszeit, 18.00 Uhr MEZ) statt. Das Rahmenprogramm ist umfangreich: Aretha Franklin wird singen, es werden Gebete vorgetragen und Gedichte aufgesagt und die Nationalhymne angestimmt. Am Abend sind zehn Bälle geplant.
Motto nach Lincoln: "A New Birth of Freedom"
Viele dieser Traditionen gehen ins 18. Jahrhundert zurück. Gerade sie erhalten eine besondere Note, denn die Ehrungen aus der Zeit der Sklaverei gelten dieses Mal einem Schwarzen. Dazu passt der vom Kongress als Thema gewählte 200. Geburtstag von Abraham Lincoln, des Präsidenten, der die Sklaven befreite. Das Motto - "A New Birth of Freedom", "Eine Wiedergeburt der Freiheit" - stammt aus seiner Gettysburg-Rede, ein Kleinod aus zehn Sätzen, das das Selbstverständnis der USA ausdrückt. Obama spricht nicht nur am Lincoln-Denkmal, sondern will seinen Eid auf dieselbe Bibel ablegen, die der vielleicht größte US-Präsident der Geschichte benutzte. Lincoln führte die Republik durch den Bürgerkrieg und damit durch ihre schwersten Stunden.
In den Wochen seit der Wahl ist die historische Bedeutung von Obamas Hautfarbe immer weiter in den Hintergrund gerückt, ähnlich wie sich die Deutschen schnell an ihre erste Regierungschefin gewohnt haben. Inzwischen wird gefragt, wo die politischen, juristischen und finanziellen Realitäten Obama zwingen werden, Kompromisse einzugehen und seine Anhänger zu enttäuschen. So viel ist bekannt: Guantanamo wird geschlossen, aber nicht sofort, in Afghanistan sollen zunächst 30.000 weitere Soldaten eingesetzt werden, ein zusätzliches milliardenschweres Konjunkturprogramm wird den Haushalt auf Jahre belasten und das Kabinett ist mit Politik-Veteranen und Washington-Insidern bestückt. Kann es dann noch überhaupt einen Wandel geben?
Die größte Hoffnung der Feiernden dürfte in den kommenden Tagen sein, dass Obama die Zweifler überraschen kann - erneut.
Scot W. Stevenson und Andrea Hopkins
Quelle: ntv.de