Blitztour in die Kriegszone Obamas neue Energie
29.03.2010, 10:26 UhrUS-Präsident Barack Obama hat Afghanistan einen unangekündigten Kurzbesuch abgestattet. Er stärkte seinen Truppen den Rücken und nahm sich Präsident Hamid Karsai zur Brust.

Obamas erster Aufenthalt am Hindukusch als US-Präsident dauerte sechs Stunden.
(Foto: REUTERS)
Das ist wieder der scheinbar nie müde werdende Barack Obama, den die Amerikaner aus dem Wahlkampf kennen. Es war die bisher wohl erfolgreichste Woche in der 14-monatigen Amtszeit des US-Präsidenten: erst die Verabschiedung der Gesundheitsreform, seines wichtigsten innenpolitischen Vorhabens, dann die Einigung auf ein neues Abkommen mit Russland zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen. Und dennoch nahm sich Obama nicht die Zeit, um sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Frisch aufgetankt mit Energie und neuem Selbstbewusstsein startete er zu einer nächtlichen Überraschungstour nach Afghanistan, um sich in Kabul Präsident Hamid Karsai vor die Brust zu nehmen und seinen eigenen Truppen den Rücken zu stärken.
Der Ton nach dem Treffen mit Karsai war höflich und freundlich, aber es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass Obama hinter verschlossenen Türen kein Blatt vor den Mund nahm. Denn die Uhr tickt. Die vom US-Präsidenten im Dezember beschlossene Truppenaufstockung am Hindukusch um 30.000 Soldaten ist im Gange, am Ende werden dort drei Mal so viel Amerikaner ihr Leben aufs Spiel setzen als zu der Zeit, als Obama den Krieg von seinem Vorgänger George W. Bush erbte. Er konnte seine neue Strategie der Eskalation nur innenpolitisch durchsetzen, indem er sie mit einem Abzugsplan beginnend im Sommer 2011 verknüpfte. Dazu benötigt er spätestens Ende dieses Jahres sichtbare Fortschritte im Kampf gegen Taliban, Terroristen und bei der Stabilisierung des Landes insgesamt.
Obama erwartet mehr Fortschritte
Und dazu muss Obama Karsai an die Kandarre nehmen. Das amerikanische Vertrauen in seine Fähigkeiten und Entschlossenheit, sich aus dem Korruptionssumpf in den eigenen Reihen zu erheben, ist von Jahr zu Jahr zunehmend geschwunden. Die Vorwürfe massiven Wahlbetrugs, die Karsais Wiederwahl im vergangenen Wahl begleiteten, haben das Vertrauen in ihn weiter absacken lassen. Washington nennt ihn artig einen "angemessenen strategischen Partner", das ist in der diplomatischen Sprache fast die letzte Formel, bevor man wirklich unhöflich wird.
Vor allem sorgen sich die USA wegen des weiter florierenden Opiumhandels, einer schwier unerschöpflichen Geldquelle für die Taliban-Rebellen. "Diese Pipeline muss verstopft werden", zitierten Medien einen hochrangigen Beamten aus dem Weißen Haus. Und die Washingtoner Regierung will auch, dass Karsai Schluss macht mit der Praxis, mächtige Milizenchefs mit Ämtern zu belohnen statt sie zu entmachten, und sie will zumindest die Grundzüge eines wirksamen Justizsystems sehen. "Das muss einfach passieren", so Obamas Sicherheitsberater James Jones auf dem Flug nach Afghanistan. "Beide Präsidenten müssen auf derselben Wellenlänge sein."
Afghanistan bestimmt Obamas Zukunft

Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram bei Kabul zeigte sich Obama vom Erfolg des Militäreinsatzes überzeugt.
(Foto: REUTERS)
Obama, so heißt es, wollte eigentlich schon längst als "Commander-in-Chief" Afghanistan besuchen, aber wiederholt habe das Wetter nicht mitgespielt und hätten die logistischen Bedingungen nicht gestimmt. Sicher aber wollte Obama auch einen möglichst günstigen Zeitpunkt abwarten, um Karsai ins Gewissen zu reden und seine Truppen vor Ort Zuversicht zu vermitteln. So etwas lässt sich am überzeugendsten aus einer Position der Stärke tun - und zumindest zurzeit scheint Obama nach einer anhaltenden Talfahrt wieder Oberwasser gewonnen zu haben.
Dabei ist sich der Präsident zweifellos darüber im Klaren, dass weder die Gesundheitsreform noch der neue START-Vertrag mit Russland über eine Wiederwahl 2012 entscheiden werden. Der Afghanistan-Krieg ist sein Krieg geworden. "Was er in Afghanistan tut, wird seine erste Amtszeit bestimmen und entscheiden, ob er eine zweite bekommt", sagt Bruce Riedel vom Saban-Zentrum für Nahost-Politik in Washington. Und bereits im November stehen die nächsten Kongress-Wahlen an - da wären Zeichen von Fortschritten in Afghanistan für Obama und seine Demokraten sicher sehr hilfreich. Noch ist das Land in Sachen Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz tief gespalten: Jeweils rund die Hälfte der Bevölkerung lehnen ihn ab oder stimmen ihm zu.
Quelle: ntv.de, Gabriele Chwallek, dpa