Kommt Moorburg oder nicht? Offen gelassene Streitfrage
18.04.2008, 15:55 UhrIm Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen war der Bau des Kohlekraftwerks Moorburg die am heftigsten umstrittene Einzelfrage zwischen den neuen politischen Partnern in Hamburg. Im fertigen Koalitionsvertrag widmen CDU und Grüne dem Projekt ganze drei Sätze, und die eröffnen einen weiten Interpretationsspielraum für die künftige Entwicklung. Auch auf Nachfragen bequemte sich die künftige Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) nicht zu näheren Erläuterungen. "Wir haben klare Verabredungen im Koalitionsvertrag, und der gilt", beschied sie einen Fragesteller.
Wegen der Vieldeutigkeit der Formulierungen fielen auch die Reaktionen auf die Vereinbarung unterschiedlich aus. "Ich begrüße, dass das Genehmigungsverfahren für das Kraftwerk Moorburg weiter betrieben wird", sagte der Präses der Handelskammer, Karl-Joachim Dreyer. Der Vorsitzende des Industrieverbandes, Frank Horch, setzte dagegen ganz andere Akzente: "Die fehlende Entscheidung für Moorburg ist ein schlechtes Zeichen für die Hamburger Industrie, aber auch für alle Investoren." Die Vertreter des Naturschutzbunds Deutschland sehen zwar generell Fortschritte im Klimaschutz in der Hansestadt, kritisieren aber die Moorburg-Einigung als "politisch uneindeutig".
Das Kraftwerk wird bereits gebaut
Hajduk fällt als künftiger Umweltsenatorin eine Schlüsselrolle für das Kraftwerk zu. Sie leitet die Behörde, die den Bau endgültig genehmigen muss. Dabei ist sie jedoch nicht völlig frei in ihrer Entscheidung. Recht und Gesetz geben den Rahmen vor. Der Vorstandschef von Vattenfall Europe, Tuomo Hatakka, sagte: "Wir gehen davon aus, dass wir die Genehmigung erhalten." Das Kraftwerk ist längst in Bau, Vattenfall hat Vorgenehmigungen und Zusagen des Hamburger Senats aus dem vergangenen Jahr und hat bereits Aufträge über 1,3 Milliarden Euro vergeben. Dagegen hält der Naturschutzbund NABU das Kraftwerk nach dem Wasserrecht für "nicht genehmigungsfähig", weil schwere Schäden am Ökosystem der Elbe nicht auszuschließen seien.
Die Neuausschreibung des Fernwärmenetzes ab Januar 2015, die ebenfalls im Koalitionsvertrag steht, kann nach Einschätzung von Experten das laufende Genehmigungsverfahren für Moorburg kaum beeinflussen. Der Zeitpunkt liegt so weit in der Zukunft, dass die Ausschreibung in dieser Wahlperiode zu früh käme und sicher nicht mehr entschieden werden kann. Käme ein anderer Betreiber als Vattenfall zum Zuge, müsste er für einen Milliardenbetrag das Netz mit allen Mitarbeitern und Anlagen kaufen und in alle langfristigen Lieferverpflichtungen einsteigen - auch gegenüber dem Kraftwerk Moorburg. Die Spekulation, dass sich Moorburg für Vattenfall ohne das Fernwärmenetz nicht lohne, gilt bei Insidern als weit hergeholt.
Grüne wollen Gaskraftwerk
Kenner der Materie rechnen nun damit, dass Hajduk ihren Ermessensspielraum bei der Erteilung der Genehmigung so weit wie möglich gegen das Kraftwerk ausreizt. Die Grünen wünschen sich ein Gaskraftwerk an gleicher Stelle, doch ist ein ernsthafter Investor dafür nicht in Sicht. Sollte die Behörde die Genehmigung versagen, würde Vattenfall höchstwahrscheinlich dagegen klagen, und ein langer Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang wäre programmiert. "Wenn Moorburg später gebaut wird, ist dies zumindest besser, als wenn Moorburg nicht gebaut wird", meint dazu Industrie-Chef Horch.
Der Konjunkturforscher Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) sieht die schwarz-grüne Vereinbarung sehr kritisch: "Das ist ein miserables Signal für ganz Deutschland. Es ist zu befürchten, dass ein langwieriger und schwieriger Prozess vor uns liegt. Das tut dem Standort Hamburg nicht gut."
Von Eckart Gienke, dpa
Quelle: ntv.de