Libanon-Bericht Olmert auf dem Tiefpunkt
30.04.2007, 16:05 UhrVon Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Solange die Kanonen donnerten, standen die Israelis "wie ein Mann" hinter ihrer Regierung. Oppositionschef Benjamin Netanjahu warb im Ausland für die Politik Ehud Olmerts. Erst gegen Kriegsende wagten sich ein paar hundert Anarchisten und "unverbesserliche" Kritiker jeder Regierungspolitik mit roten Fahnen zu kleinen Demonstrationen auf die Straßen Tel Avivs. Mit zusammengebissenen Zähnen harrten die Armen, Kranken und Alten 34 Tage lang in verdreckten Bunkern aus, während um sie herum die Katjuscharaketen aus Libanon einschlugen. Eine halbe Million wohlhabender Israelis flüchtete in einen unfreiwilligen Urlaub in Hotels in den sicheren Süden. Obgleich alle Touristen die Region überstürzt verlassen hatten, genossen die Hotels eine Hochsaison mit gepfefferten Preisen. Israelische Araber suchten Zuflucht in palästinensischen Städten wie Ramallah.
Doch sowie der Waffenstillstand eingetreten war, brach der aufgestaute Frust aus der Bevölkerung heraus. Der Sinn des Krieges wurde ebenso hinterfragt wie die sträfliche Vernachlässigung der bis zum letzten Tag mit Raketen der Hisbollah eingedeckten Zivilbevölkerung zwischen Haifa und Kirjat Schmone. Die Popularität von Premierminister Olmert stürzte von präzedenzlosen 86 Prozent Zustimmung auf kaum mehr messbare 3 Prozent ab. Ein "hastiger" Beschluss, in den Krieg zu ziehen, ohne dessen Ziele zu definieren, taktische Fehler, fehlende Ausrüstung für die Soldaten und die peinliche Erkenntnis, gegen Primitivwaffen der Hisbollah machtlos zu sein, ließ in Israel das Gefühl eines verlorenen Krieges gegen eine Miliz mit knapp 5000 Kämpfern aufkommen und dem sinnlosen Opfer von 167 Menschenleben.
Nach dem Krieg demonstrierten vor allem Reservisten. Sie wollten die Köpfe der Verantwortlichen rollen sehen. Doch die Protestbewegung erhielt keinen echten Auftrieb. Der Ruf nach einer staatlichen Untersuchungskommission wie nach dem Jom Kippur Krieg 1973 verhallte. Olmert, an der Spitze einer breiten Koalition, lavierte geschickt. Er berief lediglich eine Regierungskommission ohne richterliche Kompetenzen mit einem von ihm eng abgesteckten Mandat. So war garantiert, dass Richter Elijahu Winograd an der Spitze dieser Kommission keine Empfehlung aussprechen könne, die Hauptverantwortlichen wegen Versagens vor Gericht zu zerren.
Von 86 Prozent auf 3 Prozent
Mangels formaler Konsequenzen wird der Report mit vernichtender Kritik an Politikern wie Militärs vor allem die öffentliche Diskussion anfeuern. Die Opposition schleift schon die Messer und redet von Neuwahlen. In der regierenden Kadima-Partei wird überlegt, ob der 84 Jahre alte Schimon Peres oder Außenministerin Zipi Livni den gescheiterten Olmert frühestens im Sommer ablösen sollten. Olmert selbst ist in der Gunst der Wähler so tief gestürzt, dass er nur noch aufsteigen kann, meinen Beobachter. Kritisch kann es jedoch in der Arbeitspartei werden. Sie stellte mit Gewerkschaftsführer Amir Peretz den militärisch unerfahrenen Verteidigungsminister. Der habe sich mit den falschen Leuten beraten und gilt als Versager. In einem Monat stehen Wahlen in der Arbeitspartei an. Ehud Barak strebt erneut den Posten des Parteivorsitzenden anstelle von Peretz an. Doch Barak droht politischer Schaden. Er hatte im Jahr 2000 den Rückzug aus Libanon vollzogen, die Aufrüstung der Hisbollah nicht wahrgenommen und auf Grenzzwischenfälle, darunter auch die Entführung von Soldaten, mangelhaft reagiert. So gilt Barak als Wegbereiter des Raketenbeschusses der Hisbollah und der Entführung von zwei Soldaten, wodurch sich Olmerts Regierung am 12. Juni 2006 unvorbereitet in einen ziellosen Krieg ziehen ließ.
Die Armee hat schon während des Krieges ihren Stall gesäubert. Befehlshaber mussten ihren Hut nehmen oder wurden versetzt. Der Generalstabschef Dan Halutz verabschiedete sich ins Privatleben. Dem Ex-Luftwaffenchef wird vorgeworfen, die Bodentruppen viel zu spät eingesetzt zu haben. So habe er Israel um den Sieg gebracht und unnötig Menschenleben aufs Spiel gesetzt.
Um der Bevölkerung ihre Schlagkraft zu beweisen, beschloss die Armee, zeitgleich mit der Veröffentlichung des Reports ein landesweites Luftmanöver zu veranstalten. Die Militärflieger wollen ihre "Bereitschaft für jedes Szenario" vorführen. Während Richter Winograd seine Kritik vorliest, wird alles von "ieffliegenden Kampfmaschinen, Flugzeug-Krach, Warnsirenen und Rettungswagen auf dem Weg zu Militärstützpunkten"übertönt sein, so die Vorankündigung des Militärsprechers.
Quelle: ntv.de