Trotz historischer EU-Erweiterung Ost und West nicht immer einig
01.05.2009, 12:39 UhrDie Euphorie, mit der die Europäische Union 2004 die größte Erweiterungsrunde ihrer Geschichte feierte, scheint fünf Jahre später verflogen. In den Krisen des Jahres 2009 - Energie, Finanzen, Wirtschaft - zeigen sich auch Konflikte innerhalb der EU, bei denen die geschichtlichen Erfahrungen im einstigen Ostblock hinter dem "Eisernen Vorhang" eine wichtige Rolle spielen. Zwischen Riga und Budapest fordern neue Mitgliedstaaten die Solidarität der EU ein.
Der politische Frontverlauf ist komplizierter als die Ost-West-Linien. Beispielsweise scheiterte ein von Ungarn vorgebrachter Vorstoß, in der Krise einen Osteuropa-Finanzschild der EU zu schaffen, vor allem an den anderen Staaten Mittel- und Osteuropas. Erst danach entschieden auch die anderen Staats- und Regierungschefs aus den alten westlichen Mitgliedstaaten: "Hilfen nur innerhalb der bestehenden Instrumente."
"Monopoly mit halbem Startkapital"
Erst in den 1990er Jahren konnten die ehemals sozialistischen Staaten ihren Systemwechsel zum Kapitalismus beginnen und liegen in den wirtschaftlichen Kennziffern immer noch weit hinter dem europäischen Durchschnitt. "Das ist, als ob man Monopoly mit dem halben Startkapital spielen muss", sagt ein litauischer Diplomat.
Die EU-Kommission veröffentlichte im Februar ihre Bilanz über "Das Erreichte in den ersten Fünf Jahren": Pro Kopf haben sich demnach seit 1999 Einkommen und Wirtschaftsleistung der "Neuen" von 40 auf 52 Prozent des Durchschnitts der "alten" EU erhöht. Allerdings kann trotz des rasanten Wachstums der Normalbürger in Osteuropa weder Bankkonto noch Lebensstandard mit dem der europäischen "Nachbarn" in Berlin oder Paris vergleichen. EU-Währungskommissar Joaqun Almunia verwies auf die gut 40 Milliarden Euro, die allein in 2009 aus verschiedenen EU-Quellen, teilweise als günstige Kredite, für die neuen Mitgliedsländer bereit stehen.
Aufregung um EU-Kunstwerk
Irritationen zeigten sich zwischen den "wiedervereinten" Partnern auch immer wieder in Politik und Kultur. Jüngstes Beispiel war die Aufregung um ein EU-Kunstwerk, von der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft verantwortetet. Statt wie angekündigt, symbolisch 27 Künstler aus allen EU-Staaten agieren zu lassen, entpuppte sich "Entropa" als mit Klischees spielende Mogelpackung, allein erschaffen vom tschechischen Provokationskünstler David Cerny und Kumpanen.
Schon kurz vor der EU-Erweiterung, im April 2004, überraschte Litauen damit, Staatspräsident Rolandas Paksas aus dem Amt abzusetzen, ein Novum der europäischen Geschichte. Paksas selbst bestritt die die Vorwürfe von Korruption und Amtsmissbrauch und sprach von einem "Putsch". In Polen betraten 2005 die Kaczynski- Zwillingsbrüder die Bühne und brachten ihr Land in der EU mit nationalistisch gefärbter Doppel-Politik zeitweise in eine isolierte Stellung. In Tschechien bezog Präsident Vaclav Klaus Position gegen die Einführung des Euro und neue EU-Verträge.
"Koalition der Willigen"
Bei Militärfragen setzen nach wie vor viele der neuen Mitgliedsstaaten neben intensiver NATO-Kooperation auch auf direkte Zusammenarbeit mit den USA, sei es das US-Vorhaben eines Raketenabwehrschilds oder die Teilnahme an der "Koalition der Willigen" im Irak-Krieg. Bei der Russlandpolitik der EU dringen die Reformregierungen in Osteuropa immer wieder auf einen schärferen Umgang mit Moskau, zuletzt im Krieg um Südossetien. Dennoch blockieren sie nicht die Wiederaufnahme der Beziehungen.
Von den durch Russland und die Ukraine verursachten Gaskrisen waren zunächst die neuen EU-Mitglieder unmittelbar betroffen. Die ehemalige Sowjetrepublik Estland hat immer noch keinen gültigen Grenzvertrag mit dem großen Nachbarn Russland, Lettland und Moskau wurden erst 2007 nach jahrelangem Disput handelseinig. Während Staaten wie Deutschland und Italien in Russland einen wichtigen Handelspartner sehen, gehen die neuen EU-Länder, die unter dem Kommunismus litten, automatisch auf Distanz.
Diskussionen in der "europäischen Familie"
Zum Glück, so wiederholten führende EU-Politiker in dieser Woche bei einer Konferenz zur EU-Erweiterung in Prag, können all die offenen Fragen mittlerweile in der "europäischen Familie" gemeinsam diskutiert werden. Aber die unbeschwerten Flitterwochen sind aus osteuropäischer Sicht wohl schon Vergangenheit.
Quelle: ntv.de, Jakob Lemke, dpa