Dossier

Fremd und einzigartig Ostern in Jerusalem

Wer sonst die besinnlichen Gottesdienste im Vatikan mag oder nach urchristlichen Riten in Äthiopien sucht, sollte zu Ostern nach Jerusalem kommen. Da gibts für jeden etwas.

In Jerusalem sucht man keine Ostereier und geht dann fein gekleidet in die Kirche. Das Fest wird gleich dreifach gefeiert.

Ein israelischer Supermarkt zur Pessach-Zeit.

Ein israelischer Supermarkt zur Pessach-Zeit.

(Foto: Varda Polak-Sahm)

Acht Tage lang begehen die Juden ihr "Fest der Freiheit", Pessach, und gedenken des Auszugs aus Ägypten unter Moses. Wer Glück hat, lässt sich von einer jüdischen Familie einladen, um einen Seder-Abend mitzuerleben. Da lesen dann alle Teilnehmer die "Haggada", zu Deutsch Nacherzählung, ein in der Regel reich bebildertes Buch, das die Geschichte von Moses erzählt und die zahlreichen Riten des Seder-Abends auflistet. Gesungen wird auch, traditionell endet die Haggada mit dem Lied "Chad gadja". Der Tisch ist überladen mit symbolischen Speisen, wie bitteren Kräutern, einer köstlichen Dattelpaste und Lammfleisch. Dazu gibt es Mazzes, eine Art Knäckebrot, das aus Mehl und Wasser hergestellt wird. Denn während Pessach darf eine Woche lang nur "Ungesäuertes" gegessen werden. Deshalb lohnt schon ein Besuch in einem jüdischen Supermarkt: Pasta, Bier, Mehl und andere verbotene Speisen sind dann mit Zeitungspapier oder Plastikplanen verhängt und werden nicht verkauft. Wer es nicht eine Woche ohne Brot aushält, muss sich bevorraten oder sich beispielsweise bei den arabischen Bäckern versorgen.

Palmsonntag in der Grabeskirche.

Palmsonntag in der Grabeskirche.

(Foto: REUTERS)

Genauso fremdartig sind die christlichen Osterfeiern, wobei die Westkirchen - Katholiken und Protestanten - nur alle paar Jahre ihr Ostern zeitgleich mit den orthodoxen Kirchen begehen. Geradezu im Minutentakt werden da dem Besucher musikalische Events, wahrhaftige Theateraufführungen, Tanz mit Trommelmusik und Karnevalsumzüge geboten. Jeder darf sich beteiligen oder wenigstens zuschauen.

Am vergangenen Sonntag, dem Palmsonntag, trugen russische Mönche und katholische Priester vor der malerischen Kulisse des Ölbergs quer durch den bunten Basar der Altstadt Jerusalems, entlang der traditionellen "Via Dolorosa", kunstvoll geflochtene Palmzweige zur Grabeskirche. Manche schleppen ganze Olivenbäume in das Gotteshaus. Ein Moslem hat die Schlüsselgewalt zur heiligsten Kirche der Christenheit, in der sechs Konfessionen um ihre Rechte und Altäre kämpfen.

Fußwaschung mit Butter: Gründonnerstag in der St. James Kathedrale.

Fußwaschung mit Butter: Gründonnerstag in der St. James Kathedrale.

(Foto: REUTERS)

Der nächste Höhepunkt findet an verschiedenen Orten an Gründonnerstag statt. Geheimtipp: die Fußwaschungszeremonie in der armenischen St. James Kathedrale. Das ist Theater pur. Sowie der Vorhang aus Goldbrokat vor dem Altar aufgezogen ist, stehen der Patriarch, die Bischöfe und Priester in prächtigen Gewändern aufgereiht bereit für die Zeremonie. Armenische Priester mit ihren typischen schwarzen Spitzhüten singen sonore mittelalterliche Choräle, während sich der Patriarch, eingekleidet wie ein König aus Tausend und einer Nacht, herabbeugt und einem Priester nicht etwa die Füße mit Wasser wäscht, sondern Butter unter die Fußsohle reibt. Diese Sitte haben die Armenier aus Indien mitgebracht.

Am Karfreitag sollte man sich Zugang zur Golgotha-Kapelle in der Grabeskirche verschaffen. An dem historischen Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, bringen katholische Priester ein Kreuz mit einem angenagelten hölzernen Jesus herbei. Ein Koreaner verliest die entsprechenden Passagen aus dem Neuen Testament. Dann machen sich die Priester an die Arbeit, den Gekreuzigten vom Kreuz zu nehmen. Mit Kneifzangen wird ihm erst die Dornenkrone vom Haupt genommen. Anschließend wird ein Nagel nach dem anderen aus den blutenden Händen und Füßen gezogen und laut klimpernd auf ein Silbertablett fallen gelassen. Mit einem umgebundenen Tuch wird der hölzerne, aber naturecht bemalte Leichnam behutsam auf ein von Priestern bereitgehaltenes Leichentuch gelegt und zur nächsten Zeremonie weggetragen: Ein unwirkliches Schauspiel in gespenstischer Atmosphäre.

Ekstase in der Grabeskirche am Karsamstag.

Ekstase in der Grabeskirche am Karsamstag.

(Foto: REUTERS)

Der Höhepunkt der orthodoxen Kirchen ist am Karsamstag die Osterfeuer-Zeremonie. Früher war die Grabeskirche mit Tausenden Gläubigen vollgepackt. Wegen Feuergefahr und weil die ursprünglich von Kaiser Konstantin errichtete, aber mehrfach zerstörte und wieder aufgebaute verwinkelte Grabeskirche nur einen einzigen Eingang hat und die Konfessionen sich nicht auf die Öffnung eines Notausganges einigen können, beschränkt die Polizei seit einigen Jahren die Zahl der zugelassenen Gläubigen. Man sollte sich rechtzeitig eine Genehmigung besorgen, um die Absperrungen zu passieren. In dem versiegelten Grab Jesu in der Rotunde geht im Augenblick der Auferstehung Jesu wie durch ein Wunder ein Licht nieder: Durch kleine Schächte in der Grabwand reicht ein griechischer Priester im Grabmal das Feuer seiner Kerze heraus. Innerhalb von Sekunden ist dann die Hölle los. Die Gläubigen entzünden ihre mitgebrachten faustdicken Kerzenbündel, alle Glocken läuten wie wild durcheinander, die Menschen schreien, Männer rennen mit brennenden Kerzen ins Freie, um die frohe Botschaft der Auferstehung durch die Stadt zu tragen. Diese Zeremonie ist eine einzige Massenekstase. Man muss sie miterlebt haben, um zu glauben, dass es so etwas in der christlichen Welt gibt.

Und abends zu den Äthiopiern: Sie feiern rund um die Helena-Kapelle.

Und abends zu den Äthiopiern: Sie feiern rund um die Helena-Kapelle.

(Foto: REUTERS)

Damit ist die Party in Jerusalem aber noch längst nicht zu Ende. Rund um die Kuppel der Helena-Kapelle, die zur Grabeskirche gehört, feiern am Samstagabend die Äthiopier. Knallbunt bekleidet prozessieren die Priester mit Kerzen in der Hand, während über ihnen mitten in der Nacht bunte Sonnenschirme aufgespannt sind. Dazu gehört die passende musikalische Untermalung: ein unter die Haut gehendes rhythmisches Trommeln mit echten Buschtrommeln aus Afrika.

Zur Erholung - vielleicht eher zur Ernüchterung - kann man an Ostersonntag in den protestantischen oder katholischen Kirchen dann den üblichen Gottesdienst mit Orgelmusik, Chorgesang und einer Predigt auf Deutsch miterleben, wie zuhause: gesittet, diszipliniert und eher temperamentlos.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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