Dossier

Krümmel und Brunsbüttel Pannenstart vor einem Jahr

Eine dicke schwarze Rauchwolke steht über dem Atomkraftwerk Krümmel an der Elbe bei Hamburg, die Feuerwehr ist im Großeinsatz, ein riesiger Transformator brennt aus. Der weltweit größte Siedewasserreaktor geht am 28. Juni 2007 um 15 Uhr per Schnellabschaltung vom Netz, anderthalb Stunden nach dem Meiler in Brunsbüttel. In den schleswig-holsteinischen Kraftwerken beginnt an diesem Tag eine Pannenserie mit ungeahnten Folgen. Sie offenbart eine Kette technischer und menschlicher Fehler, kostet Spitzenmanager den Job, verstärkt Atomängste und entfacht eine Sicherheitsdebatte.

Ein Jahr danach liefern Krümmel und Brunsbüttel immer noch keinen Strom. In der Politik setzen Energiepreis-Rekorde die Akzente neu: Die CDU kämpft offensiv um längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, während Koalitionspartner SPD am von Rot-Grün erkämpften Ausstieg festhält.

Zu viele Mängel

Wann die Reaktoren im Norden wieder ans Netz gehen, ist ungewiss. Zu viele Mängel wurden bei Kontrollen entdeckt. Massenweise fehlerhaft eingebaute Dübel und Risse an Armaturen zählen zu den wichtigsten. "Wir arbeiten daran, aber es gibt keinen Termin", sagte Geschäftsführer Ernst Michael Züfle vom Betreiberkonzern Vattenfall bei einem Pressetermin in Krümmel aus Anlass des "Jahrestages".

Es sollte alles viel schneller gehen. Brunsbüttel ging sogar nur wenige Tage nach der Schnellabschaltung wieder ans Netz, liefert aber seit 20. Juli auch keinen Strom mehr. September und Oktober standen für die Wiederinbetriebnahme im Raum, die sich massiv verzögert hat.



Am 28. Juni 2007 überschlugen sich die Ereignisse: Zuerst wurde der Brand in Krümmel bekannt. Dann kam die Meldung, dass 100 Minuten zuvor Brunsbüttel per Schnellabschaltung heruntergefahren wurde - nach einem Kurzschluss in einer Schaltanlage. Radioaktivität trat nirgends aus. Doch dass wegen Spannungsschwankungen in Hamburg 800 Ampeln ausfielen und U-Bahnen kurz still standen, sorgte zusätzlich für Unruhe. Betreiber und Atomaufsicht gaben beruhigende Signale. "Die Schnellabschaltungen der Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel haben ordnungsgemäß funktioniert, ohne dass eine Gefährdung für Menschen oder die Umwelt bestanden hätte", erklärte Sozialministerin Gitta Trauernicht zwei Tage nach den Zwischenfällen.

Nachrichten tröpfchenweise

Die SPD-Politikerin sollte sich später mächtig mit Vattenfall anlegen und wegen ihres Managements auch selbst unter Druck geraten. Tröpfchenweise erfuhr die Öffentlichkeit, was sich alles abgespielt hatte. So teilte das Ministerium am 3. Juli mit, dass in Krümmel doch das Reaktorgebäude betroffen war. Im Druckbehälter gab es einen schnellen Druck- und Füllstandsabfall, weil zwei Ventile "unplanmäßig geöffnet wurden und eine Speisewasserpumpe ausgefallen war.

Der Reaktorfahrer habe eine Weisung seines Chefs falsch verstanden, hieß es aus Vattenfalls Management, das wegen seiner Informationspolitik unter Beschuss kam. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rügt sie öffentlich. Es häufen sich Negativbotschaften: Am 6. Juli wird bekannt, dass Rauch im Leitstand war. Am 14. Juli gesteht Vattenfall Pannen und Kommunikationsprobleme ein, dann gehen Atomspartenchef Bruno Thomauske, Konzernsprecher Johannes Altmeppen und Europachef Klaus Rauscher.

Immer neue Probleme

Vattenfall bemüht sich um Schadensbegrenzung, lässt Journalisten ins Werk und zeigt in Krümmel den ausgebrannten Transformator. Dann tauchen in den Kraftwerken neue Probleme auf - defekte Brennelemente, Risse in Schweißnähten an Rohrleitungen, ein Motordefekt an einer Pumpe zur Wasserkühlung im Brennelemente-Lagerbecken, hunderte fehlerhaft angebrachte Dübel für Rohrleitungen und Pumpen.

Atomkraftgegner fordern immer wieder, Krümmel und Brunsbüttel endgültig stillzulegen. "Je länger Vattenfall den Pannenmeiler Krümmel untersucht, umso mehr Schwachstellen und Probleme treten auf", sagte Greenpeace-Experte Heinz Smital zum "Pannen-Jubiläum". Kritisch ist auch die Atomaufsicht in Kiel: "Erst wenn alle Probleme gelöst sind, erteilen wir den Kernkraftwerken die Zustimmung zum Wiederanfahren", betonte Abteilungsleiter Wolfgang Cloosters.

Millionenverluste

Wie für den Betreiber, bedeutet der lange Stillstand auch für das arme Schleswig-Holstein Millionenverluste. Der Etat sieht aus der Oberflächenabgabe für Krümmel und Brunsbüttel 20 Millionen Euro pro Jahr vor. Die Abschaltung trug auch wesentlich dazu bei, dass 2007 die deutschen Atommeiler so wenig Strom lieferten wie seit 16 Jahren nicht. Ihr Anteil an der gesamten Stromerzeugung sank auf 22 Prozent. Die Bemühungen zur Trendumkehr sind bei der Union in vollem Gang.

Von Wolfgang Schmidt, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen