Dossier

Verfassungsgericht stellt klar Parlament mit Vorbehalt

Auf den ersten Blick wirkt die Anhörung seltsam verspätet. Während Deutschland gerade die Begehrlichkeiten der NATO-Partner beim Engagement in Afghanistan abwehrt, verhandelt das Bundesverfassungsgericht am Dienstag über eine Uraltklage der FDP-Bundestagsfraktion gegen den Einsatz deutscher Soldaten bei den AWACS-Aufklärungsflügen über der Türkei; der Einsatz war bereits im April 2003 beendet. Doch die Klage berührt eine Besonderheit des deutschen Militärwesens, deren Aktualität angesichts des internationalen Engagements der Bundeswehr eher zunehmen wird: den sogenannten Parlamentsvorbehalt, der Auslandseinsätze deutscher Soldaten von der Zustimmung des Bundestags abhängig macht.

Als die Bundesregierung zu Beginn des Irak-Kriegs der NATO die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an den Aufklärungs-Flügen zusagte - der türkische Luftraum sollte gegen mögliche Angriffe gesichert werden - pochten die Freien Demokraten darauf, dass dies nur mit Zustimmung des Bundestags zulässig sei. Die rot-grüne Regierung lehnte ab, womöglich wäre die eigene Mehrheit für den heiklen Einsatz wackelig gewesen. Das seien nur "Routineflüge", beschwichtigte die Regierung. Die Aufgabe der Flugzeuge sei strikt defensiv, sie leisteten keinerlei Unterstützung für die Einsätze im Irak.

Durchgewunken und zurückgepfiffen

Das Bundesverfassungsgericht winkte den Einsatz Ende März 2003 per Eilbeschluss durch, auch um außenpolitische Irritationen über mangelnde Verlässlichkeit der Deutschen zu vermeiden. Die Richter behielten sich aber das letzte Wort vor: Es sei "bei der gegenwärtigen geopolitischen Lage nicht auszuschließen, dass es sich dabei um einen Einsatz handelt, dem der Bundestag zustimmen muss".

Damit steht das Verfahren fünf Jahre später wieder auf Null. Auch wenn es für den damaligen AWACS-Einsatz einem historischen Rückblick gleicht, könnte es für künftige Streitfälle Rechtsklarheit bringen: Wo beginnt der Einsatz "bewaffneter Streitkräfte", der vom Bundestag abgesegnet werden muss? In ihrer Grundsatzentscheidung von 1994 hatten die Karlsruher Richter dazu wenig gesagt, auch das 2005 verabschiedete Parlamentsbeteiligungsgesetz leistet kaum Definitionshilfe. "Für die Praxis der Gesetzesanwendung wird das Verfahren eine Rolle spielen", erwartet deshalb der Völkerrechtler Michael Bothe, der die FDP vertritt.

Klare Kategorien verwischt

Als der Parlamentsvorbehalt vor 90 Jahren "erfunden" wurde, galten noch die vergleichsweise klaren Kategorien von Krieg und Frieden. "Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages erforderlich", regelte Artikel 1 der Reichsverfassung von 1918. Nach der Wiederbewaffnung knüpfte das Grundgesetz 1956 daran an und überantwortete dem Parlament die "schicksalhafte politische Entscheidung über Krieg und Frieden". Die Bundeswehr sollte ein "Parlamentsheer" sein.

Heute gilt es, die Befugnisse des Bundestags in eine völlig neue militärische Wirklichkeit einzupassen. Flexible Einsatztruppen setzen sich aus Soldaten verschiedener Länder zusammen, die arbeitsteilig vorgehen. So stellte die Bundeswehr seinerzeit nur ein Drittel der AWACS-Besatzung, und das luftgestützte Überwachungssystem eignet sich durchaus zur Leitung von Jagdflugzeugen. Ließ sich die militärische Bedeutung der "Routineflüge" wirklich sauber vom Kontext des Irak-Kriegs trennen?

Karlsruhe hatte 1994 immerhin so viel durchblicken lassen: Schlichte Hilfsdienste der Bundeswehr im Ausland sind ohne Parlamentsbeteiligung möglich, "sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind". Bei bewaffneten UN-Blauhelmeinsätze dagegen - wie auch immer sie ausgestaltet sind - gilt laut Gericht das Zustimmungserfordernis, weil die Grenzen zwischen traditionellem Friedenseinsatz und bewaffneten Sicherungsmaßnahmen "in der Realität fließend geworden sind". Mit solchen fließenden Grenzen dürften die derzeit rund 7300 im Ausland eingesetzten Bundeswehrsoldaten oft genug zu tun haben.

Von Wolfgang Janisch, dpa

Quelle: ntv.de

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