UN-Tribunal erwartet Karadzic Paukenschlag in Den Haag
22.07.2008, 08:34 UhrFast schien es, als hätte man ihn schon aufgegeben. Radovan Karadzic, der einstige Kriegsfürst der bosnischen Serben mit der grauen Mähne, war kaum noch ein Thema beim UN-Tribunal in Den Haag. In Gesprächen und offiziellen Stellungnahmen über die drei noch gesuchten Angeklagten drehte es sich eher um Ratko Mladic, damals Militärchef und dadurch womöglich mehr noch als Karadzic ein Mann mit Blut an den Händen. Es galt - und gilt wohl noch immer - als sicher, dass er sich in Serbien aufhält, geschützt von ergebenen Militärs.
Karadzic dagegen, nach Überzeugung der früheren UN-Anklägerin Carla Del Ponte bestens finanziert durch Organisierte Kriminalität, vergebens gejagt auch durch internationale Truppen, schien unauffindbar. Doch in Kürze wird auch er seine Richter in Den Haag kennenlernen. Und die für das Kriegsverbrechertribunal reservierten Zellen einer alten niederländischen Haftanstalt bei den Dünen des Touristenortes Scheveningen.
Hauptanklagepunkt Srebrenica
Die Verhaftung des einstigen Dichters und Psychiaters schallt wie ein Paukenschlag durch die Mauern des UN-Tribunals, das nach dem Willen des Sicherheitsrates in gut zwei Jahren seine Tore schließen soll. Es war 1993 gegründet worden, um nach internationalem Recht die Verbrechen während des Balkan-Krieges zu verfolgen. Als deren Tiefpunkt wird der Völkermord von Srebrenica an bosnischen Muslimen im Juli 1995 angesehen - der Hauptanklagepunkt gegen Karadzic. Fast 100 Millionen Euro geben die Vereinten Nationen jeweils in diesem und im nächsten Jahr aus, damit die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen kann.
Doch bis Ende des Jahres, so will es der Sicherheitsrat, sollen alle Verfahren in der ersten Instanz beendet sein, und Ende 2010 soll - wo erforderlich - die zweite Instanz das allerletzte Wort gesprochen haben. Ein Blick auf den Arbeitsplan des Tribunals reicht aus, um zu sehen, dass das nicht geht. Erst recht nicht, wenn nun ein neues Mammut-Verfahren bevorsteht. Auch wenn Radovan Karadzic, wie es die Vorschrift ist, innerhalb kürzester Zeit zum ersten Mal einem Richter gegenübersteht - bis zum ersten Tag der Hauptverhandlung vergehen in aller Regel viele Monate.
Der Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, vom Kaliber her mit Karadzic vergleichbar, dauerte schon vier Jahre und war noch weit von einem Ende in erster Instanz entfernt, als der Angeklagte im März 2006 im UN-Gefängnis starb. Dass über Karadzic, der als unschuldig gelten muss, innerhalb von gut zwei Jahren ein rechtskräftiges Urteil gefällt wird, ist kaum möglich. Die Vereinten Nationen werden darüber entscheiden, ob sie dem von ihnen gegründeten Gericht die Zeit - und das Geld - geben, diesen Prozess rechtsstaatlich zu Ende zu bringen.
Thomas P. Spieker, dpa
Quelle: ntv.de