Dossier

Trillerpfeifen unter Kronleuchtern "Pleite & krank, Ulla sei Dank"

So etwas hat das brandneue Hotel Maritim an der Berliner Stauffenbergstraße noch nicht erlebt. Über den hellen Marmor stapfen Tausende -in dicken Winterjacken oder auch OP-Kitteln und fluoreszierenden Notarztwesten - mit Transparenten nach dem Motto "Geld weg, Arzt weg" und "Pleite und krank, Ulla sei Dank". Die Kronleuchter vibrieren unter Trillerpfeifen und Sprechchören: "Schmidt muss weg! Schmidt muss weg!"

Die Funktionäre, die die Protestveranstaltung zum Tag der Ärzte organisiert haben, brüllen in überforderte Mikrofone: "Wenn wir einig sind, können wir das System zum Erliegen bringen!" Darauf das Gejohle Tausender, die eben noch gesetzte Landärzte waren oder Chirurgen, HNO-Spezialisten, Onkologen, Venerologen. "Und wir sollten es tun!" Noch mehr Gejohle.

Nur die, die zur Auftaktkundgebung keinen Platz mehr in den riesigen Hotelhallen gefunden haben und in der Kälte vor der Tür stehen, werden langsam ungeduldig. "Jetzt geht's los! Jetzt geht's los!" brüllen sie sich in bester Stadionmanier in Stimmung für die Demonstration zum Gesundheitsministerium.
Drei sind dafür aus Templin gekommen. Denn auch im Heimatort von Bundeskanzlerin Angela Merkel stehen die Dinge aus Sicht der Ärzte nicht zum Besten. Chirurg Peter Otto kann recht einfach erklären, warum er unzufrieden ist: "Früher hat die KV 10.500 Euro Abschlag im Monat überwiesen, jetzt sind es nur noch 7.300 Euro. Ich brauche aber 10.000 Euro, um die Fixkosten zu decken."

Dabei sei die Zahl der Patienten -Otto sagt 1.600 "Scheine" - die gleiche geblieben. Von den Allgemeinen Ortskrankenkassen bekomme er praktisch nur noch für jede zweite ärztliche Leistung Geld, von den Ersatzkassen nur für drei von vieren. Eine Helferin hat der seit 15 Jahren in Templin selbstständige Arzt jetzt entlassen, um die Kosten zu drücken. "Das ist mir nicht leicht gefallen, glauben Sie's mir."

Warum inzwischen deutlich weniger Geld bei ihm ankommt, kann sich Otto nicht befriedigend erklären. "Es wird schon irgendwo was bleiben", sagt er mit Blick auf die Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung. Das eigentliche Problem sieht er aber darin, dass insgesamt zu wenig Geld da sei. "Das System funktioniert nicht mehr", ist er überzeugt.

Düstere Aussichten in der Uckermark

Sein junger Kollege Olrik Lischka, der in einer Allgemeinarztpraxis in Templin seine Ausbildung als Facharzt macht, sieht das ganz genauso. Er will sich in der Uckermark selbstständig machen - ganz so wie es angesichts des Ärztemangels im Osten gewünscht ist. Aber da taucht schon ein ganzer Turm dunkler Wolken über seinen kurz geschorenen Haaren auf.

"Ich weiß nicht, ob ich wirklich in Brandenburg bleiben kann, denn klar ist, dass meine Frau dort keine Arbeit findet und wir von meinem Einkommen leben müssen", sagt der junge Mann, der ein Schild "Gelyncht in der Uckermark" um den Hals trägt. "Und dann sag ich mir, vielleicht will ich zwei Kinder, und ich muss den Kindergarten bezahlen, und die Schulen werden auch immer schlechter, da kommen dann die Kosten für eine Privatschule dazu..." Weiter kommt Lischka in seiner düsteren Zukunftsvision nicht, aber irgendwie reicht das ja auch.

Dazu gekommen ist jetzt noch Andreas Hempelmann, ebenfalls Hausarzt in Templin. Alles wäre nicht so schlimm, ist sein Tenor, wenn man zumindest die Patienten nach eigenen Vorstellungen so gut wie möglich versorgen könnte. "Wir haben es mit Menschen zu tun", sagt er. Aber die Leitlinien zur Behandlung, die immer strikteren Vorgaben für die Arzneimittelverordnung -alles staatliche Gängelei. Die Ministerin Ulla Schmidt, die sich das alles ausgedacht habe, sollte mal zugegen sein, wenn sich die Patienten beschweren und das neueste Mittel einfordern, von dem sie im Fernsehen gehört haben. Wie solle man den erklären, dass das für sie zu teuer sei.

"Wir sind doch verantwortlich", sagt Chirurg Otto nachdenklich. Und dann: "Das ist schon eine blöde Situation, in der wir stecken. Wir werden von oben und von unten gequält."

Quelle: ntv.de

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