Dossier

Ioannina-Klausel durchgesetzt Polen fast zufrieden

Der polnische Präsident Lech Kaczynski hat den auf dem EU-Gipfel in Lissabon verabschiedeten Reformvertrag als Erfolg für sein Land gewertet. "Polen hat im Prinzip alles bekommen, was es wollte", sagte Kaczynski nach Abschluss der Verhandlungen. Zugleich deutete er jedoch an, dass Polen hinsichtlich der künftigen Sitzverteilung im Europaparlament noch Nachforderungen stellen könnte. Auch bezüglich der Einigung zu den Abstimmungsverfahren in der EU vertrat er eine eigenwillige Interpretation.

Zur Zusammensetzung des Europaparlaments ab 2009 sagte der polnische Präsident: "Wir haben beschlossen, dass unsere italienischen Freunde einen zusätzlichen Sitz erhalten. Aber die endgültige Sitzverteilung wird erst im Dezember beschlossen." Auf dem Gipfel wurde vereinbart, das Parlament 2009 von 785 auf 751 Sitze zu verkleinern. Im Reformvertrag ist aber eine Obergrenze von 750 Mandaten festgeschrieben. Künftig soll nun der Parlamentspräsident nicht mehr als normaler Abgeordneter zählen, so dass die Obergrenze auf dem Papier eingehalten wird. Nach Angaben Kaczynskis werden die Details der Sitzverteilung unterhalb dieser Grenze aber erst im Dezember endgültig beschlossen. Die bisherigen Pläne, nach denen Polen 51 Mandate erhalten soll, seien "für Polen nicht zufriedenstellend", sagte der Präsident, der den Kompromiss in der Nacht mitgetragen hatte.

Fotyga: Nach der Wahl "machen wir alles mit"

EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering räumte ein, der formale Beschluss über alle Einzelheiten der Zusammensetzung des Europaparlaments ab 2009 falle erst im Dezember. Gipfelteilnehmer äußerten jedoch die Erwartung, dass Warschau sich nach der Wahl in Polen am Sonntag mit der Sitzverteilung zufrieden geben werde. Die polnische Außenministerin Anna Fotyga habe gesagt: "Lasst uns die Wahl abwarten, in 14 Tagen machen wir alles mit", hieß es.

Dass der EU-Parlamentspräsident künftig nicht mehr als normaler Abgeordneter gezählt werden soll, bedeutet laut Amtsinhaber Pöttering keine Verpflichtung zur Enthaltung bei Abstimmungen. Er fügte allerdings hinzu: "In der Praxis stimmt der Präsident in den Sitzungen, die er leitet, ohnehin nicht ab, weil man sich konzentriert auf die Organisation." Er selbst jedenfalls habe es seit seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten im Januar so gehalten. Er wäre aber eindeutig dagegen, dass man formal dem Präsidenten des Parlaments das Abstimmungsrecht nimmt".

Verzögern bis zu einem Jahr

Im seit Monaten andauernden Tauziehen um die Abstimmungsverfahren in der EU konnte Kaczynski seine Forderung durchsetzen, eine bereits von Polen erstrittene Sonderklausel nicht nur in einer Erklärung, sondern zusätzlich in einem Protokoll des Reformvertrags festzuschreiben. Die sogenannte Ioannina-Klausel sei damit gestärkt worden, sagte Kaczynski. Praktisch hat sich an der Rechtsstellung der Klausel jedoch nichts geändert.

Kaczynski legte ferner Wert auf die Feststellung, dass die nach der Ioannina-Klausel möglichen Verzögerungen einer strittigen Entscheidung in dem Protokoll nicht befristet sind. Vielmehr sei von "angemessenen Fristen" die Rede: "Das können bei weniger wichtigen Entscheidungen drei Tage sein, in einigen Fällen aber auch Monate und bei sehr schwierigen Entscheidungen sogar mehrere Jahre", sagte der polnische Präsident.

Aus EU-Diplomatenkreisen verlautete, die Entscheidungsfristen richteten sich nach der Geschäftsordnung des Rates. Darin seien tatsächlich für unterschiedliche Politikbereiche und Verfahren sehr unterschiedliche Fristen vorgesehen. Theoretisch sei daher eine Verzögerung bis zu einem Jahr wohl denkbar - praktisch erhalte mit dem Reformvertrag aber das Europaparlament bei den meisten Entscheidungen ein Mitspracherecht. Schon allein dadurch seien den Beratungen des Rates zeitliche Grenzen gesetzt.

Quelle: ntv.de

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