Entsetzen in Sittensen Polizei rätselt über Blutbad
05.02.2007, 18:04 UhrSechs Tote und ein lebensgefährlich verletzter Mann liegen in einem China-Restaurant in der beschaulichen niedersächsischen Gemeinde Sittensen. Das nächtliche Blutbad in dem 5000-Seelen-Ort scheint auf ein zwielichtiges Etablissements hinzudeuten, in das sich kaum je ein Besucher verirrt. Doch das Restaurant "Lin Yue" liegt mitten im Ort in einem modernen Wohn- und Geschäftshaus. Es ist seit mehr als zehn Jahren äußerst beliebt, sagt Ortsbürgermeister Heinz-Hermann Evers. Die Inhaber, ein asiatisches Ehepaar in den Enddreißigern, kenne jeder im Ort. "Er war immer mit seinem Hund spazieren."
Evers geht davon aus, dass die Inhaber auch zu den Mordopfern zählen. Aus Ermittlungsgründen wollte die Polizei dies aber zunächst nicht bestätigen. Drei Männer und drei Frauen wurden erschossen und zum Teil gefesselt aufgefunden. Auch zu möglichen Motiven schweigen sich die Ermittler noch aus. Zumindest einen Fall von Schutzgelderpressung hält sie für unwahrscheinlich. "In Sittensen ist die Welt noch in Ordnung, es gibt überhaupt keine Vorgeschichte", sagt Polizeisprecher Detlev Kaldinski. Eine solche Tat sei nicht zu erwarten gewesen.
"Hier im Ort gibt es Gerüchte, dass die Mafia etwas damit zu tun hat, dass die Schulden hatten", sagt dagegen Linda Templin vom Blumenladen gegenüber. Das Ehepaar sei aber immer nett und freundlich gewesen. "Die haben hinterher immer noch privat da gesessen und mit ihren Angestellten gegessen." Gewohnt hätten die Inhaber im Dachgeschoss über dem Restaurant im ersten Stock.
Das Haus ist am Montag für die Tatortgruppe des Bundeskriminalamtes vollständig abgesperrt worden. Die Spezialisten sollen alles so vorfinden wie die Beamten, die am frühen Morgen vom Mann einer Restaurant-Angestellten in die Hamburger Straße gerufen wurde. Daniel Houwers kann nicht in seine Büro im Erdgeschoss des Gebäudes. Der Vermögensberater kann die Tat noch gar nicht begreifen. "Wir haben immer geschnackt und einen Spaß gemacht." Etwas Ungewöhnliches sei ihm in letzter Zeit im Haus nicht aufgefallen.
Auch Fahrlehrer Jürgen Kogge wird in seiner Schule im Erdgeschoss am Tag nach den Morden keine Schüler mehr unterrichten. Bei seinen Nachbarn ist er oft und gerne zu Gast. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die irgendwelche Schwierigkeiten haben könnten", sagt er und schaut hinauf zum ersten Stock. Dort hängen zur Zierde Koi-Karpfen als Fensterbilder in den Scheiben. Für die Ermittler brennt das Licht.
Der Supermarkt-Parkplatz auf der anderen Straßenseite ist für die Bürger im Ort zu einer Informationsbörse geworden. Dort steht völlig aufgelöst auch Hilly Behrens. Sie wohnt im gleichen Haus wie die Mutter des Restaurant-Besitzers. "Heute war so viel los im Flur, ich habe gedacht, die haben ein Familientreffen", sagt Behrens. Wie es ihrer Nachbarin geht und ob sie in der Mordnacht im Restaurant war, weiß sich nicht.
Jürgen Heinz ist Stammgast im "Lin Yue" und ist in die Hamburger Straße gekommen, als er von den Morden gehört hat. "Das ist für jeden hier völlig überraschend gekommen", sagt er. Für seinen 40. Hochzeitstag hatten er und seine Frau bereits einen Tisch reserviert. "Aber das wird wohl nichts mehr."
(von Dirk Averesch, dpa (Mit Bildern)
Quelle: ntv.de