"Merkel wird Goldene Brücke nutzen" Renneberg: Schneller Ausstieg ist machbar
04.04.2011, 14:46 Uhr
RWE hat bereits Klage wegen der Stilllegung von Biblis A eingereicht.
(Foto: dapd)
Der langjährige Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, geht davon aus, dass die Bundesregierung zum rot-grünen Ausstiegsgesetz von 2002 zurückkehren wird. Im Gespräch mit n-tv.de verweist Renneberg darauf, dass die angekündigte Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke unnötig ist, weil längst alle Fakten auf dem Tisch liegen.
n-tv.de: Nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg wissen wir, dass das Moratorium der Bundesregierung vor allem dem Wahlkampf geschuldet war. Hat überhaupt noch einen Sinn daran festzuhalten?

Angela Merkel könnte die Kanzlerin werden, die die Union zum Ausstieg aus der Atomkraft bewegen konnte.
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Wolfgang Renneberg: Ich denke schon, dass innerhalb der drei Monate, die für das Moratorium vorgesehen sind, wichtige politische Weichenstellungen erfolgen können. Sie stehen aber in keinem sachlichen Zusammenhang mit einer Sicherheitsüberprüfung. Innerhalb dieser Zeit ist eine solche Überprüfung von siebzehn Atomkraftwerken gar nicht möglich. Schon die Sicherheitschecks nach § 19a AtomG, die periodisch alle zehn Jahre gemacht werden müssen, dauern mindestens zwei Jahre allein für den Bericht des Betreibers. Hinzu kommt die gutachterliche Prüfung. Auch wenn das im Einzelnen mal schneller gehen kann, zeigt das aber, welche Zeit man ansetzen muss, um ein Kernkraftwerk zu überprüfen.
Das heißt also, dass die Mängel, die die alten Reaktoren charakterisieren, der Bundesregierung längst bekannt sein müssten.
Bei Biblis A gibt es beispielsweise eine Überprüfung der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die Sicherheitsschwächen am Stand der Technik deutlich macht. Das Gleiche gibt es beim AKW Neckarwestheim 1. Auch sind die Sicherheitsschwächen der alten Siedewasserreaktoren bekannt.
Gab es bislang keine übergeordnete Instanz, die sich für die Sicherheit der AKW interessierte?

Für Philippsburg 1 scheinen bereits alle Messen gesungen zu sein. Das Kraftwerk wird wohl nicht mehr ans Netz gehen.
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Die Bundesregierung hat die Pflicht, alle drei Jahre in einem Bericht an die Internationale Atomenergiebehörde IAEA den Zustand der kerntechnischen Sicherheit in Deutschland darzulegen. In den letzten Berichten sind jeweils in der Anlage 4 die grundlegenden Unterschiede zwischen den alten und den neuen Anlagen bewertet, auch im Hinblick ihres technischen Stands.
Und wie ist der technische Stand?
Wenn man das alles nachrüsten wollte, was von diesen Sicherheitsschwächen bekannt ist, dann würden sich die Kraftwerke nicht mehr rechnen. Würde man zudem einen wirksamen Schutz gegen Flugzeugangriffe fordern, müsste man zumindest die alten Kraftwerke abschalten, weil das für den Betreiber zu teuer wäre.
Die Stromkonzerne haben bereits angekündigt, während der Zeit der Abschaltungen nicht mehr in den Fonds zum Ausbau des Ökostroms einzahlen wollen. Ist das vertraglich möglich?
Ja, und an dieser Stelle offenbart sich der Charakter des so genannten Ökofonds. Letztlich geht es nämlich darum, dass die Betreiber nur dann einzahlen, wenn sie nicht wegen Sicherheitsfragen zu Kasse geben werden. Hier geht tatsächlich die Ratio dieses Vertrages auf: Wenn es den Betreibern zu teuer wird für die Sicherheit in ihre Kraftwerke zu investieren, dann wird in diesen Fonds nicht mehr eingezahlt. Umgekehrt ergibt sich daraus der politische Druck, eher bei der Sicherheit zu sparen, um für den Ökofonds Geld zu haben. Eine solche Konstruktion ist meiner Meinung nach von vornherein abzulehnen.
Die Bundesländer haben sich bislang erfolgreich gegen die so genannten Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke zur Wehr gesetzt. Ist das nicht aus ein Thema für Merkels Moratorium?
Ich denke schon. Denn, wenn jetzt im Rahmen des Moratoriums eine Überprüfung der Sicherheit stattfinden soll, müssen alle Fakten auf den Tisch. Jetzt muss transparent dargestellt werden, welche Abweichungen die deutschen Kernkraftwerke von den Anforderungen haben, die sie nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik zu erfüllen hätten. Nur wenn das auf den Tisch kommt, kann man auch bewerten, was zu tun ist. Von vornherein zu sagen, welche Nachrüstungen jetzt erforderlich sind, ist ohne eine solche transparente und objektive Überprüfung nicht möglich. Nur davor hat sich die Bundesregierung bislang gedrückt.
Weshalb spielen die Länder nicht mit?
Die wehrten sich in der Vergangenheit nur deswegen gegen das Regelwerk, weil es ja nur ein Regelwerk für neue und alte Anlagen geben kann. Denn gibt ja auch nur einen Stand von Wissenschaft und Technik. Die meisten Länder befürchteten, dass die Offenlegung von Schwachstellen gerade bei den ältesten Kernkraftwerken zu Unruhe in der Bevölkerung führen könnte. Mit anderen Worten: Die Bundesländer haben die offene Debatte über die Sicherheit der Atomkraft gefürchtet, weil sie Angst hatten oder haben vor dem politischen Druck auf die Stilllegung der Kernkraftwerke. Niemand kann ohne ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz Atomkraftwerke betreiben.
Liegt vielleicht die Akzeptanz der Kernkraft auch Interesse der Bundesländer, weil diese daran finanziell beteiligt sind?
Nein nicht unbedingt. Vor allem ist das der Energiepolitik der einzelnen Länder geschuldet. Wenn sie zum Beispiel Bayern nehmen oder das alte Baden-Württemberg von Stefan Mappus oder auch Hessen und Niedersachsen, dann sind dies Länder, die in ihren energiepolitischen Vorstellungen an der Kernenergie festhalten wollen. Dies schlägt sich im Umweltministerium als der verantwortlichen Behörde für die Atomsicherheit nieder.
Ist die jetzt erwogene Abschaltung der acht alten Anlagen ohne Regressansprüche der Betreiber möglich?
Nach dem rot-grünen Ausstiegsgesetz von 2002 waren alle Beteiligten davon ausgegangen, dass die ihnen zugewiesenen Restlaufzeiten ausreichen würden, um die Anfangsinvestitionen der Betreiber aufzufangen und ihnen darüber hinaus ein angemessener Gewinn zufließen würde. Das heißt, spätestens wenn diese Restlaufzeiten abgelaufen wären, hätten diese Anlagen auch keinen Bestandsschutz mehr und könnten problemlos abgeschaltet werden. . Bei den neueren Anlagen würde man Gefahr laufen, bei einem vorzeitigen Abschalten Entschädigungen zahlen zu müssen. Eine Rückkehr zum alten Ausstiegsgesetz wäre rechtlich unproblematisch. Man müsste es nur politisch umsetzen.
Ist darüber hinaus eine weitere Verkürzung, also ein noch schnellerer Ausstieg möglich?
Das geht nur unter gewissen Risiken, weil es hier verfassungsrechtliche Grundsätze zu beachten gibt. Da greift der Eigentumsschutz von Artikels 14 des Grundgesetzes. Den kann man nicht einfach per Bundestagsbeschluss abschaffen.
Sind damit die Rufe nach einem sofortigen oder einem Turbo-Ausstieg unredlich?

Wolfgang Renneberg hat mehr als 20 Jahre in der Atomaufsicht gearbeitet.
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Ich will nicht sagen, dass das unmöglich ist. Natürlich kann man das machen, allerdings besteht ein gewisses finanzielles Risiko. Die Regierung könnte nach einem langwierigen juristischen Verfahren auf Entschädigungsleistungen sitzen bleiben. Es gibt fundierte Gutachten, die die Basis des damaligen Ausstiegsgesetzes waren. In den Gutachten war dargelegt worden, dass 25 Jahre nach Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes eine hinreichende Zeit abgelaufen sei, um die Anlage zu amortisieren und einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften. Danach einigte man sich auf 32 Jahre. Ob nun ein Gericht sagt, die 32 Jahre sind's oder ob man nach Auffassung des Gerichts bei einem vorzeigen Ausstieg auch mit 25 Jahren auskommen könnte, das ist eine Frage, in der das Risiko liegt. Wenn jetzt Greenpeace oder auch die Grünen behaupten, man käme auch 2015 aus der Atomkraft, dann legen sie diese Gutachten der damaligen Schröder-Regierung zu Grunde, die zur Begründung des Ausstiegsplans dienten. Die Forderungen werden also in einem rechtlichen Grenzbereich formuliert, aber sie haben eine realistische Durchsetzungschance.
Kann Merkel jetzt ohne weiteren Gesichtsverlust zum rot-grünen Ausstiegsgesetz zurück?
Die Union hat mit Fukushima und der breiten gesellschaftlichen Debatte eine Goldene Brücke, um den Weg wieder zurückzugehen. Sie kann sich auch darauf berufen, dass man so etwas wie in Japan nicht habe erwarten können und dies zu einer Neubewertung der Risiken führe. Den Weg haben sie bereits eingeschlagen.
Quelle: ntv.de, Mit Wolfgang Renneberg sprach Peter Poprawa