"Störung des Gleichgewichts" Richter rügen Schulden-Etats
14.02.2007, 14:45 UhrDie Politik kann nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes das Anwachsen des Schuldenberges nicht andauernd mit einer ökonomischen Schieflage begründen. Die Richter kritisierten am Mittwoch die regelmäßige Feststellung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes. "Die Ausnahme ist hier zur Regel geworden", rügte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Winfried Hassemer, in der Verhandlung über eine Klage aus dem Jahr 2004. Damals hatten die Oppositionsfraktionen von FDP und Union gegen Rot-Grün geklagt.
Die Richter bezogen ungewöhnlich früh und deutlich Stellung zu der Normenkontrollklage. Mit einem Urteil wird erst in drei Monaten gerechnet. Union und FDP hatten kritisiert, die rot-grüne Regierung habe exzessiven Gebrauch von der Ausnahme des Artikels 115 des Grundgesetzes gemacht. Danach dürfen die neuen Schulden im Haushalt nur dann über den Investitionen liegen, wenn die wirtschaftliche Lage gestört ist.
"Die Umgehungsmöglichkeiten des Grundgesetzes werden mittlerweile weidlich ausgenutzt", monierte Hassemer. 2004 war die Störung zum vierten Mal in Folge festgestellt worden. Die Kläger kritisierten auch, bei der Haushaltsaufstellung seien Rechte des Parlamentes übergangen worden. Das Budget habe wissentlich zu hohe Einnahmen aufgeführt sowie Posten wie die Entlastung durch Hartz IV, die aber erst 2005 wirksam wurde.
Die Schulden hätten deutlich und kontinuierlich zugenommen - und zwar bei wechselnder politischer Besetzung, kritisierte Hassemer. Die Union - mittlerweile an der Regierung - hatte für 2006 mit der SPD ebenfalls die Ausnahmeregel bemüht. Das Gericht nehme das Problem ernst, sagte Hassemer. Es frage sich aber, wie ihm mit verfassungsrechtlichen Mitteln begegnet werden könne. Denn schon 1989 hätten die Richter Vorgaben gemacht: "Inwieweit kann Verfassungsrecht Politik regulieren?" Der Schuldenberg ist mittlerweile auf 1.500 Milliarden Euro angewachsen; alleine für Zinsen sind jedes Jahr rund 40 Milliarden Euro fällig.
Vertreter von Regierung sowie Union und FDP bekräftigten in der Verhandlung ihre gegensätzlichen Positionen zur Legalität des Haushaltes 2004. Striktere Schuldenregeln werden in den Parteien aber seit geraumer Zeit diskutiert. Das Thema wird auch Inhalt der übergreifenden Diskussion von Bund und Ländern über die Föderalismusreform II sein, die im März beginnen soll.
Finanzstaatssekretär Karl Diller (SPD) verteidigte den damaligen Etat, der in großem Umfang von Konsolidierungsmaßnahmen geprägt gewesen sei. Die Bundesregierung habe nichts verschleiert, sondern alle Entscheidungen öffentlich diskutiert. Der negative Konjunkturtrend, der letztlich zur Korrektur geführt habe, sei erst in der zweiten Jahreshälfte deutlich geworden.
Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, sagte in der Verhandlung, dem Zweck des Grundgesetzes, Schulden zu vermeiden, müsse mehr Geltung verschafft werde. Derzeit fließe jeder fünfte Steuer-Euro in die Zinstilgung. Er schlug vor, die Definition enger zu fassen, was Investitionen seien. Der Vorsitzende des Rates der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sagte, neue Kredite sollten nur noch aufgenommen werden dürfen, wenn die Investitionen den nachfolgenden Generationen dienten sowie bei nationalen Katastrophen oder in einer schweren Rezession.
Der CDU-Haushaltspolitiker Steffen Kampeter sagte, es gehe nicht um Parteienstreit. Aber wer den Bundeshaushalt sanieren wolle, brauche den strikten Rückhalt des Verfassungsgerichts. Der FDP-Politiker Otto Fricke erklärte, 90 Prozent der Ausgaben seien rechtlich gebunden. Es fehle an Flexibilität, auf Einnahmeausfälle mit einer Ausgabensenkung reagieren zu können.
Quelle: ntv.de