Dossier

Machtkampf in Bolivien Riskantes Referendum

In Bolivien liefern sich die arme Indio-Mehrheit und die wohlhabendere, europäisch-stämmige Bevölkerung im Osten des Landes einen Machtkampf auf Biegen und Brechen. Sogar ein Zerfall des zwischen Brasilien, Argentinien, Chile und Peru eingeklemmten Landes nehmen die Streitparteien in Kauf, wenn am 4. Mai im Departement Santa Cruz knapp eine Millionen Wähler zur Teilnahme an einem Referendum über eine weitgehende Autonomie der wohlhabenden Region aufgerufen sind.

Letzte Umfragen gingen von mehr als 70 Prozent Ja-Stimmen für die Autonomie aus, obwohl das Referendum nicht bindend und die Autonomie in der Verfassung des Landes auch gar nicht vorgesehen ist. Beobachter am Sitz der Regierung in La Paz schlossen auch nicht aus, dass es am Tag der Abstimmung zu Unruhen kommen könnte.

Spannungen weiter aufgebaut

Seit der linksgerichtete frühere Anführer der Koka-Bauern, Evo Morales, Ende 2005 zum ersten Indio-Präsidenten in der Geschichte des Landes gewählt wurde, haben sich die Spannungen immer weiter aufgebaut. Sein erklärtes Ziel, der seit Jahrhunderten benachteiligten Indio-Mehrheit mehr Rechte und Chancen auf Bildung und Wohlstand zu verschaffen, trug ihm vor allem bei anderen linksgerichteten Regierungen Südamerikas, allen voran dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chvez, großen Beifall ein. Die weiße, europäisch-stämmige Bevölkerung der abtrünnigen Regionen jedoch wehrt sich mit Zähnen und Klauen gegen den Verlust ihrer Vormachtstellung.

Morales aber braucht Macht und Geld, viel Geld, wenn er die Lebenssituation der Indios verbessern will. Die Indio-Mehrheit lebt vor allem auf dem Hochland im Westen des Landes. Dort liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr noch unter dem Haitis. In Santa Cruz hingegen ist es etwa dreimal so hoch. Dort und in dem anderen abtrünnigen Departement Tarija befinden sich 85 Prozent der bekannten Bodenschätze des Landes, vor allem Erdgas. Beni, wo es ebenfalls Autonomiebestrebungen gibt, ist der wichtigste Erzeuger von Rindfleisch vor allem für den Export. Nur das ebenfalls im Streit mit Morales liegende Pando ist arm.

"Kurz vor einer Explosion"

Die vier Mitgliedsstaaten der linksgerichteten "Bolivarianischen Alternative für die Amerikas" (ALBA), warfen den Autonomie-Bewegungen vor, sie wollten Bolivien destabilisieren. Ungeachtet des Ausgangs des Referendums werde ALBA keine abtrünnigen Bewegungen anerkennen. "Bolivien steht kurz vor der Explosion", warnte Chvez und goss zugleich noch Öl ins Feuer: "Bolivien wird den Faschisten eine Lektion erteilen", meinte der für seine rüden Äußerungen berüchtigte Präsident.

Stattdessen würde Bolivien angesichts seiner Geschichte innerer Kämpfe und ethnischer Unterschiede viel eher einen Brückenbauer, eine ausgleichende Figur benötigen. Morales aber hatte es sich in den Sinn gesetzt, eine neue Verfassung ausarbeiten zu lassen. Gegen die Vorschläge seiner Regierungspartei "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) fuhren die reichen Departements eine Strategie der Frontalopposition. Morales ließ daraufhin die oppositionellen Mitglieder in der Versammlung kurzerhand aussperren und den Entwurf absegnen. "Mit dem Kopf durch die Wand", meinte ein westlicher Diplomat. Aber die Wand könnte sich als zu dick erweisen.

Von Jan-Uwe Ronneburger, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen