Vom Völkermord zum Musterland? Ruanda wählt wieder Kagame
08.08.2010, 10:33 Uhr
Paul Kagame ist seit Ende des Völkermords Präsident von Ruanda.
(Foto: dpa)
Bei den Präsidentschaftswahlen gilt Kagame als Favorit. Er hat nach dem Völkermord 1994 Ruanda wieder aufgebaut. Doch Menschenrechtler warnen.
Paul Kagame dürfte bei den Präsidentenwahlen in Ruanda am 9. August nicht nur dank des Amtsinhaber-Bonus die Nase vorn haben. Die staatlichen Medien leisten schon seit Tagen kaum verhüllte Wahlkampfhilfe in ihren Kommentaren und Berichten. "Wählt Paul Kagame! Er wird euch nicht im Stich lassen", schreibt etwa die staatliche Zeitung "New Times" und verlinkt ihre Online-Titelseite ungeniert mit Kagames Wahlkampf-Website.
Viele Wähler des kleinen ostafrikanischen Landes dürften sich kaum eindrücklicher an einen Präsidenten erinnern als an den asketisch wirkenden Kagame, der im Sommer 1994 an der Spitze der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) aus dem ugandischen Exil in Ruanda einmarschierte.
Nach der großen Tragödie auf Erfolgskurs

Eine Welle von Hass und Gewalt überrollt 1994 Ruanda - 100 Tage lang wütet ein grausamer Völkermord in dem zentralafrikanischen Staat.
Dort wüteten damals die Hutu-Milizen, ermordeten innerhalb von nur 100 Tagen 800.000 Menschen - Mitglieder der Tutsi-Minderheit und gemäßigte Hutu. Die internationale Gemeinschaft beschränkte sich auf Proteste und Appelle, schritt erst ein, als der Völkermord in Ruanda nicht mehr zu leugnen war. Es war die RPF, die das Morden beendete. Als der heute 52 Jahre alte Kagame an die Herrschaft kam, war sein Land ein riesiger Friedhof, die Menschen traumatisiert, knapp 300.000 Kinder waren Waisen.
Ruanda gilt heute als afrikanisches Musterland. Nur 16 Jahre nach dem Völkermord ist Ruandas Wirtschaft eine der stabilsten auf dem Kontinent. Investoren schätzen Pünktlichkeit, Disziplin und Zuverlässigkeit der "Schweizer Afrikas". Korruption ist im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten ein geringes Problem, Kriminalität ebenfalls. Das "Land der tausend Hügel" ist nach einer der größten Tragödien des Kontinents auf Erfolgskurs.
Es ist Teil der Staatsphilosophie, die alten ethnischen Gegensätze, die so viel Leid über das kleine Land gebracht haben, zu verdrängen. "Wir alle sind Ruander", lautet die Maxime. Eine Leugnung des Völkermords von 1994 ist strafbar, Schulbücher wurden auf Hinweise auf ethnischen Hass durchkämmt.
Oppositionelle werden eingeschüchtert
Doch es gibt Schatten im Musterland. Menschenrechtsorganisationen werfen der ruandischen Regierung und ihren Sicherheitsbehörden die Verfolgung und Einschüchterung von Oppositionellen vor. Mehreren Zeitungen wurde vor Monaten die Lizenz entzogen, weil sie "beleidigend" über die Regierung berichtet haben sollen. In ein paar Wochen, wenn die Wahlen vorbei sind, sollen sie wohl wieder erscheinen dürften.
Schon seit dem Frühjahr ist die Oppositionspolitikerin Victoire Ingabire wiederholt festgenommen worden. Sie war erst im Januar aus dem niederländischen Exil nach Ruanda zurück gekehrt. Die Sicherheitsbehörden werfen ihr Verbindungen zu radikalen Hutu vor, die am Völkermord beteiligt waren, sowie zur Hutu-Miliz FDLR, die im Ostkongo noch heute die Bevölkerung terrorisiert.
Droht die "totale Diktatur"?
Vor wenigen Wochen wurde Oppositionspolitiker André Kagwa Rwisereka, der stellvertretende Vorsitzende der Grünen Partei, unter noch mysteriösen Umständen ermordet. Die Polizei spricht von Raubmord, nahm einen Geschäftspartner des Toten fest. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch fordern jedoch eine unabhängige Untersuchung des Falls.
Auch langjährige politische und militärische Weggefährten Kagames sehen sich Verfolgungen ausgesetzt. General Kayumba Nyamwasa, zuletzt ruandischer Botschafter in Indien, lebt seit einigen Monaten im Exil in Südafrika. "Das Regime in Kigali gleitet in eine totale Diktatur ab", warnte er in einem Interview. "Und absolute Macht korrumpiert. Wer eine andere Meinung hat, ist der Feind. So ist es mir ergangen."
Quelle: ntv.de, Eva Krafczyk, dpa